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DownloadEs gibt immer wieder Zeiten, in denen die „richtige“ Berücksichtigung von Pensionsrückstellungen zu langen Diskussionen bei der Unternehmensbewertung führt. Für die Kapitalmarktbewertung ist das zur Zeit nicht der Fall. Analysten ignorieren die Diskussion bei börsennotierten Unternehmen weitgehend und ziehen regelmäßig die ausgewiesenen Bilanzwerte als Schuldposition vom Enterprise Value ab. Beim Verkauf ganzer Unternehmen im M&A-Prozess hingegen kommt es regelmäßig zu heftigen Diskussionen, wenn der Käufer die Pensionsrückstellungen im Rahmen der DCF-Bewertung mit einem Marktzins neu berechnen will. Sinkt der Marktzins, so errechnen sich höhere Pensionsrückstellungen und damit ein niedrigerer Equity Value bzw. Kaufpreis. Dies scheint die übliche Praxis zu sein. Doch ist diese Betrachtung aus wirtschaftlicher Sicht eigentlich richtig?
Die Diskussion über die Behandlung von Pensionsrückstellungen in der Unternehmensbewertung ist nicht sehr beliebt. Das liegt einerseits an der notwendigen umfangreichen Datenbasis für jeden einzelnen Arbeitnehmer oder Rentner, andererseits an den regelmäßig nicht sehr ausgeprägten Kenntnissen der Bewerter über die erforderliche Versicherungsmathematik zur Berechnung der Rückstellungen. In einer solchen Situation ist jeder Bewerter froh über vorliegende Pensionsgutachten. Diese ermitteln eine Schuld, die durch die vergangene Tätigkeit von Arbeitnehmern für ein Unternehmen entstanden ist und zu Rentenauszahlungen in der Zukunft führen wird. Diese Schuld wird dann als „zinstragende Verbindlichkeit“ vom Wert des unverschuldeten Unternehmens abgezogen. Leider liegen aber heute häufig mehrere Gutachten vor:
Bei den Gutachten sind neben dem anzusetzenden Zinssatz nach den Änderungen des HGB durch das BilMoG die Bewertungs- und Bilanzierungsgrundsätze nur noch im Detail unterschiedlich. Für alle Bewertungsansätze kann festgestellt werden, dass die zu erwartenden zukünftigen Auszahlungen an Rentner und Rentenanwärter mit Hilfe von Prognosen über Fluktuation, Renteneintrittsdaten, Lohnentwicklungen und Sterbetafeln ermittelt werden. Für die ermittelte Zahlungsreihe wird unter Berücksichtigung bestehender Ansprüche der entsprechende Zahlungsstrom auf den Zeitpunkt der Bilanzerstellung abgezinst.
Was heißt das nun konkret für die Bewertungspraxis? Ist eines der genannten Gutachten das für die Bewertung „richtige“? Und muss der Rückstellungswert und damit der Schuldabzug des vorliegenden HGB-Gutachtens auf einen wirtschaftlich „besseren Wert“, z. B. den IFRS-Wert, hochgerechnet werden?
Für den Fall einer nicht gedeckten Pensionsverpflichtung wäre eine solche Hochrechnung erforderlich, wenn durch die Veränderung des Marktzinses auch der zukünftige Cash-Flow des Unternehmens verändert würde. Niemand wird nämlich Zweifel daran haben, dass bei einer DCF-Bewertung alternativ zum Abzug der Pensionsverpflichtung vom Enterprise Value (im Folgenden „Rückstellungsmethode“) die zukünftigen Rentenzahlungen auch direkt vom jährlichen Cash-Flow des Unternehmens abgezogen werden können (im Folgenden die „Cash-Flow-Methode“).
Hierzu ein Beispiel, bei dem von dauerhaften Rentenzahlungen zum Ende des Planungszeitraumes ausgegangen wird:
Aus diesem Beispiel wird erkennbar, dass die Rückstellungsmethode und die Cash-Flow-Methode immer dann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, wenn der Abzinsungsfaktor für die Pensionsrückstellungen vom Weighted Average Cost of Capital (WACC) abweicht. Da die Cash-Flow-Methode systemimmanent zum „richtigen Ergebnis“ führen muss, erscheint der „richtige“ Abzinsungsfaktor für die Pensionsrückstellungen in der Unternehmensbewertung daher der WACC zu sein. Für die Bewertungspraxis wohl ein überraschendes Ergebnis.
Gegen das gewählte Beispiel kann eingewandt werden, dass die Annahme einer dauerhaften Rentenzahlung kein realistisches Szenario darstellt, da die meisten Pensionsprogramme ausgelaufen sind oder in den nächsten Jahren auslaufen. Wählt man komplexere Beispiele mit einer endlichen Rentenzahlung, so werden die Differenzen zwischen den beiden Bewertungsmethoden tendenziell geringer, das grundsätzliche Ergebnis aber bleibt das Gleiche.
Die Prognose der jährlichen Pensionszahlungen sind eine Vorstufe der Ermittlung der Pensionsrückstellungen und insofern für jedes Pensionsgutachten erforderlich. Wie bereits ausgeführt, ist sie abhängig von der Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Rentenanspruch, dem voraussichtlichen Eintrittsalter, der Rentenentwicklung und der Lebenserwartung. Sie ist aber nicht abhängig von der Entwicklung der Marktzinsen. Die zukünftigen Rentenzahlungen und damit die zukünftigen Cash Flows bleiben auch bei veränderten Marktzinsen gleich. Damit kann sich auch der Unternehmenswert nicht ändern.
Bei derzeitigen WACC-Faktoren zwischen 6 % und 9 % erscheint damit für die Unternehmensbewertung eine Erhöhung der HGB-Pensionsrückstellungen auf den IFRS-Wert weniger plausibel als die Minderung des Abzugspostens auf den steuerlichen Rückstellungswert.
Könnten andere Faktoren dieses Ergebnis relativieren? Steuerliche Faktoren kommen nicht in Betracht, da die Berechnung der Steuern in Deutschland immer nach § 6a EStG mit dem festen Zinssatz von 6 % erfolgt und damit unabhängig von einem veränderten Marktzins ist. Latente Steuern würden bei der Cash-Flow-Betrachtung des DCF neutralisiert werden.
In der Berechnung des WACC wird ein niedrigeres Zinsniveau bereits berücksichtigt. Eine weitere Berücksichtigung dieses Faktors über die Pensionsverpflichtung ist deshalb nicht erforderlich. Auch eine Diskussion darüber, ob die Prognose der zukünftigen Rentenzahlungen einer niedrigeren oder höheren Unsicherheit unterliegt als andere Planzahlungen, erscheint nicht zielführend. Die Prognose erfolgt, wie bei anderen Planzahlen auch, auf der Basis einer „bestmöglichen“ Schätzung. Nur schwer zu vermitteln ist eine risikoinduzierte Anpassung des WACC bei der Cash-Flow-Methode.
Bleibt die Frage, ob der WACC aufgrund des verminderten Verschuldungspotentials des Unternehmens bei höheren Pensionsverpflichtungen in seiner Eigenkapital/Fremdkapital-Relation angepasst werden müsste. Selbstverständlich besteht für ein Unternehmen mit einer ungedeckten Pensionsverpflichtung ein geringeres Verschuldungspotential als für ein identisches Unternehmen ohne eine solche Verpflichtung. Dies wird in den Kreditverträgen des Unternehmens seinen Niederschlag finden. Allerdings sehen die üblichen Finanzierungsvereinbarungen nicht vor, dass der jeweilige Finanzierungsrahmen angepasst werden muss, wenn sich die Höhe der Pensionsrückstellungen aufgrund von veränderten Marktzinsen ändert. Überprüft wird vielmehr, welche Auswirkungen die tatsächlichen Rentenzahlungen auf die Liquiditätsplanung haben, also eine ähnliche Betrachtung wie sie auch der Unternehmensbewerter anstellen sollte.
Allerdings hat diese reine Liquiditätsbetrachtung ihre Grenzen, z. B. wenn durch die höhere Bilanzierung der Pensionsrückstellungen bestehende Eigenkapital-Covenants gerissen werden. Auch wenn dem Finanzierer bewusst ist, dass sich ein Unternehmen durch einen veränderten Abzinsungssatz der Pensionsrückstellungen objektiv nicht ändert, muss der subjektiven Änderung des Wertes aufgrund schlechterer Bilanzrelationen Rechnung getragen werden. Insoweit erscheint auch hier eine Anpassung des WACC nur in den Ausnahmefällen erforderlich, bei denen die bilanzielle Eigenkapitalquote durch steigende Pensionsrückstellungen kritisch werden kann.
Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass sich bei ungedeckten Pensionsverpflichtungen der Unternehmenswert (Equity Value) durch einen veränderten Abzinsungsfaktor bei der Ermittlung der Pensionsrückstellungen grundsätzlich nicht ändert. Der WACC ist der geeignete Abzinsungsfaktor für die Ermittlung der bewertungsrelevanten Pensionsrückstellungen.
Ändert sich dieses Ergebnis, wenn die Pensionsrückstellungen durch Vermögenswerte abgedeckt werden? In diesem Fall geht man davon aus, dass zukünftige Auszahlungen für Pensionen durch Zinserträge oder den Verkauf von Vermögenswerten kompensiert werden. Wenn jetzt niedrige Zinsen für die Deckung der Pensionen erzielt werden können, muss ein höherer Vermögenswert zur Verfügung gestellt werden, um die Pensionszahlungen abzudecken.
Die Bewertung des Deckungsvermögens erfolgt grundsätzlich zum Marktwert. Ist das Vermögen anderen Gläubigern entzogen, so erfolgt auch nach HGB eine Saldierung des Deckungsvermögens mit den Pensionsrückstellungen. Ob sich der Marktwert des Deckungsvermögens aufgrund einer veränderten Zinssituation verändert, hängt natürlich von der Art des Vermögenswertes ab. Insgesamt muss man aber davon ausgehen, dass der Vermögenswert der Deckung so zu berechnen ist, wie alle anderen zinstragenden Vermögenswerte auch. Ein Saldierungsgebot oder -verbot mit den Pensionsrückstellungen sollte keinen Einfluss auf die Unternehmensbewertung haben.
Und wie geht man mit den Pensionsaufwendungen innerhalb des Planungszeitraums um? Neue Anwartschaften werden regelmäßig über den geschätzten zukünftigen Aufwand berücksichtigt und mindern entsprechend das EBITDA der Planungsperioden. Dabei wird dieser Aufwand wiederum über den für das Pensionsgutachten zugrunde gelegten Zinssatz ermittelt. Auch diese Aufwendungen müssten eigentlich über deren Auszahlungen im Cash Flow berücksichtigt oder mit dem WACC abgezinst werden. Aufgrund der voraussichtlichen Relation zwischen der bereits aufgelaufenen Rückstellung und Neuansprüchen im Planungszeitraum kann dieser „Bewertungsfehler“ wohl aber regelmäßig als nicht materiell eingestuft werden.
Auch für Multiplikatoren-Bewertungen erscheint, abweichend von der üblichen Vorgehensweise, ein direkter Abzug der Pensionsaufwendungen oder Pensionszahlungen vom EBITDA oder vom EBIT sinnvoll. Denn es handelt sich hier um statische Bewertungsmethoden und eine dynamische Berücksichtigung der Pensionen über einen Schuldabzug des Barwertes zukünftiger Verpflichtungen würde diese Betrachtungsweise konterkarieren.
Für die Ertragswertmethode werden die zukünftigen Aufwendungen für die Altersversorgung mit geplant. Soweit bei gleichbleibenden Zinsen die Höhe der Rückstellung zum Bewertungsstichtag (vor Anpassung des Zinssatzes) nur unerheblich von der Rückstellung am Ende der Planungsperiode abweicht, ist die Höhe des Zinssatzes für die Ermittlung der Aufwendungen für die Altersversorgung nicht bewertungsrelevant. Liegt die Rückstellung am Ende des Planungszeitraums erheblich über der Rückstellung zum Bewertungsstichtag, so führt ein niedrigerer Abzinsungssatz zu höheren Aufwendungen und damit zu einem niedrigeren Unternehmenswert.
Liegt die Rückstellung am Ende der Planungsrechnung erheblich unterhalb der Rückstellung zum Bewertungsstichtag – etwa weil ein Pensionsprogramm schon seit vielen Jahren ausgelaufen ist – so führt ein niedriger Abzinsungssatz zu höheren Unternehmenswerten. Dies liegt daran, dass für die bestehenden Rentenansprüche in der Vergangenheit eine stärkere Vorsorge getroffen wurde. Da die Rentenaufwendungen über die Gesamtperiode aber immer gleich bleiben, errechnet sich im Planungszeitraum ein geringerer zukünftiger Aufwand. Gegenüber der Rückstellungsmethode der DCF-Bewertung ergibt sich also ein vollständig konträres Ergebnis. In beiden Fällen muss man objektiv von „Bewertungsfehlern“ sprechen.
Zusammenfassend kann folgendes festgestellt werden:
Insgesamt zeigt sich, dass der Berücksichtigung von relevanten Pensionen bei der Unternehmensbewertung eine besondere Aufmerksamkeit gebührt. Die einfache Betrachtung als „zinstragende Verbindlichkeit“ mit einem Abzug der HGB- oder IFRS-Rückstellung ist häufig zu kurz gesprungen. Der Verfasser fordert hier keine neuen Pensionsgutachten mit alternativen Abzinsungsfaktoren und will auch kein neues theoretisches Modell für die „richtige“ Bewertung von Pensionsverpflichtungen manifestieren. Es sollte aber im M&A-Prozess sehr wohl zu Verhandlungsergebnissen kommen, bei denen der Abzugsposten aus den bestehenden Gutachten interpoliert und auch unterhalb des HGB-Wertes festgelegt wird. Bei der Bewertung von Pensionsrückstellungen im M&A-Prozess besteht ein breiter Verhandlungsrahmen abseits der Finanzmathematik, der auf jeden Fall genutzt werden sollte.
Dr. Jens Kruse
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