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DownloadBei der Bewertung des Eigenkapitals eines Unternehmens, das eine signifikante Insolvenzwahrscheinlichkeit aufweist, werden häufig strukturelle Fehler gemacht. Auch in einer vorinsolvenzlichen Situation wird nicht selten die sogenannte Wasserfallbetrachtung übernommen: Wenn der Marktwert des Gesamt-Unternehmens (= Enterprise Value) kleiner als der Nennwert der Nettofinanzverbindlichkeiten ist, scheint der Wert des Eigenkapitals negativ bzw. null sein zu müssen. Dieser Artikel wird aufzeigen, dass diese vereinfachende Betrachtung systematisch falsch ist, denn das Eigenkapital kann als Option auf den Erwerb des Unternehmens verstanden werden. Eine Option hat jedoch nie einen negativen Wert. 1
Einleitung und Annahmen
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Bewertung von Eigenkapital in Situationen, in denen sich das Unternehmen in einer finanziellen Krise befindet. Indikator für diese Krise ist die Notwendigkeit, eine insolvenzrechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Das heißt, es besteht eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Vorstand bzw. die Geschäftsführung der Gesellschaft in naher Zukunft der Antragspflicht zur Insolvenzeröffnung unterliegen könnte. Für die nachfolgende Argumentation wird unterstellt, dass (i) das Unternehmen eine Kapitalgesellschaft ist und das haftende Eigenkapital voll eingezahlt ist, (ii) eine Einlagenrückgewähr nicht vorliegt und auch Bürgschaften, Garantien oder andere Sicherheiten seitens eines Gesellschafters nicht bestehen sowie (iii) es keinen Unternehmensvertrag mit einem Gesellschafter gibt, der zu einer Verlustausgleichsverpflichtung jenes Gesellschafters führt. Mithin ist die Haftung der Eigenkapitalgeber beschränkt, insbesondere auch im Fall einer Insolvenz. Außerdem soll aus Vereinfachungsgründen unterstellt werden, dass es nur unbesicherte, nicht nachrangige Verbindlichkeiten gibt. Damit muss nur eine Gruppe von Fremdkapital betrachtet werden.
Erstellung und Bewertung von verschiedenen Szenarien
Liegt eine Unternehmenskrise vor, sollte das Management die verschiedenen möglichen Szenarien detailliert ausarbeiten lassen. Besteht für das Unternehmen keine Insolvenzantragspflicht, weil die Zahlungsfähigkeit noch gegeben ist, dann muss geprüft werden, ob eine positive Fortführungsprognose auch ohne eine bilanzielle Restrukturierung erreicht werden kann oder ob ein Debt-to-Equity-Swap vonnöten ist.
Das Sanierungsgutachten eines externen Beraters nach IDW S6 wird analysieren, ob und unter welchen Voraussetzungen die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens (= „positive Fortführungsprognose“) gegeben ist. Unter Umständen lässt sich die Insolvenz durch bestimmte Maßnahmen der Eigentümer und/oder der Gläubiger vermeiden, ohne dass es zu einem Debt-to-Equity-Swap kommen muss. Zum Beispiel könnten die Eigentümer eine Kapitalerhöhung vornehmen und die Gläubiger könnten Zinszahlungen stunden, reduzieren oder die Laufzeit der Finanzverbindlichkeiten verlängern.
Setzt indes die positive Fortführungsprognose eine bilanzielle Restrukturierung voraus, dann werden Gläubiger in aller Regel nur dann eine Reduktion ihrer Forderung (sog. Haircut) hinnehmen, wenn sie dafür auch eine Gegenleistung erhalten. Im Einzelfall könnte diese Gegenleistung in einer Barkapitalerhöhung liegen, die die Werthaltigkeit des restlichen Forderungsteils entsprechend erhöht. Andernfalls werden die Gläubiger einen Debt-to-Equity-Swap fordern, um eine Gegenleistung für die bilanzielle wie auch liquiditätsmäßige Entlastung der Gesellschaft zu bekommen.
Darüber hinaus müssen immer auch die Szenarien in der Insolvenz betrachtet werden, um ein vollständiges Bild für alle Kapitalgeber zu erhalten. Das gilt insbesondere, wenn neben den Eigentümern auch Gläubiger bestimmte insolvenzabwendende Maßnahmen beschließen müssen.
Das Management sollte in einem ersten Schritt analysieren (lassen), ob und unter welchen Bedingungen ein Insolvenzplanverfahren bzw. ein Verkauf aus der Insolvenz sinnvoll wäre und welche Insolvenzquote die Gläubiger jeweils zu erwarten hätten. Abgerundet wird diese Analyse mit einer Abschätzung des Liquidationswertes und einer entsprechenden Insolvenzquote für die Gläubiger bei Liquidation.
Auf dieser Basis hat das Management die einzelnen Szenarien aus Sicht der Eigenkapitalgeber und aller Gläubiger zu bewerten. Falls es verschiedene relevante Gläubigergruppen geben sollte, insbesondere durch besicherte oder vorrangige Gläubigeransprüche, dann muss eine Bewertung der einzelnen Szenarien je Gläubigergruppe vorgenommen werden.
Bewertung des Enterprise Values als Ausgangswert für die Ableitung des Werts des Eigenkapitals
Theoretisch ist es möglich, den Wert des Eigenkapitals – auch in der Unternehmenskrise – direkt zu ermitteln. Diese Vorgehensweise ist jedoch unüblich und unpraktisch, denn neben dem Wert des Eigenkapitals ist häufig auch der Wert der Nettofinanzverbindlichkeiten von Interesse. Daher wird sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis zuerst der Unternehmenswert (Enterprise Value) bestimmt, um auf dieser Basis sowohl den Wert des Eigenkapitals als auch den Wert des Fremdkapitals konsistent aus einem Modell ableiten zu können.
Bei der Ermittlung des Enterprise Values ist es transparenter, wenn die Szenarien in Abbildung 1 separat bewertet und mittels einer Schätzung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten zu einem Enterprise Value aggregiert werden.
Ausgehend vom Enterprise Value kann nun der Wert des Eigenkapitals bestimmt werden
Für die drei Insolvenzszenarien gilt das Wasserfallprinzip: Zuerst werden die Ansprüche der vorrangigen Gläubiger befriedigt, dann die Ansprüche der nachrangigen Gläubiger und erst zum Schluss, wenn alle Gläubigeransprüche voll befriedigt worden sind, erhalten die Eigenkapitalgeber den Residualwert. Dieser ist im Insolvenzfall fast immer Null.
Falls der Unternehmenswert in den drei Insolvenzszenarien jeweils kleiner als der Nominalwert der Verbindlichkeiten ist, ist der Wert des Eigenkapitals in allen drei Szenarien jeweils Null.
Das Wasserfall-Prinzip gilt jedoch nicht, solange das Unternehmen noch nicht in der Insolvenz ist. Für den Fall, dass der Enterprise Value außerhalb der Insolvenz kleiner als der Nennwert der Nettofinanzverbindlichkeiten ist, ist der einfache Rückschluss, dass der rechnerische Wert des Eigenkapitals negativ und damit der Wert des Eigenkapitals Null ist, grundsätzlich falsch. Denn das Eigenkapital entspricht einer Kauf-Option der Eigenkapitalgeber auf den Erwerb des Unternehmens. Der Ausübungspreis der Option ist die Höhe der Verbindlichkeiten bzw. bewertungstheoretisch die Höhe der Nettofinanzverbindlichkeiten. Falls der Enterprise Value kleiner als die Verbindlichkeiten ist, ist die Option aus dem Geld. Eine Optionsausübung wäre also nicht lohnend.
Die Option, also das Eigenkapital, hat jedoch immer einen positiven Wert, denn es besteht für die Aktionäre die Chance, dass der Unternehmenswert während der Laufzeit der Option auf Werte oberhalb des Ausübungspreises steigen könnte. Infolgedessen sind Bewertungen des Eigenkapitals auf Basis des Wasserfall-Prinzips grundsätzlich falsch, solange sich das Unternehmen nicht in der Insolvenz befindet.
Abbildung 2 stellt den inneren Wert und den Optionswert des Eigenkapitals sowie den inneren Wert und den Residualwert der Nettofinanzverbindlichkeiten dar. Auf der Abszisse sind die Werte des Enterprise Values abgetragen. Die Ordinate zeigt die Werte der Option bzw. der Verbindlichkeiten. Die Abbildung unterstellt, dass die Nettofinanzverbindlichkeiten einen Nennwert von 24 aufweisen. Bei einem Enterprise Value von nicht größer als 24 ist der innere Wert des Eigenkapitals Null. Der Wert einer Option ist immer positiv und steigt mit ansteigendem Enterprise Value. Der Zeitwert einer Option, als Differenz zwischen Optionswert und innerem Wert, ist niemals Null und ist am Geld, d.h. am Punkt, wo der Enterprise Value dem Nennwert der Verbindlichkeiten entspricht, maximal.
Der positive Optionswert des Eigenkapitals führt nun zu dem Effekt, dass der Residualwert der Verbindlichkeiten unterhalb des inneren Werts der Verbindlichkeiten liegt. Das heißt: Der positive Zeitwert der Option reduziert den Wert der Verbindlichkeiten, da sich der Marktwert der Nettofinanzverbindlichkeiten als Residualwert aus Enterprise Value und Marktwert des Eigenkapitals (= Optionswert des Eigenkapitals) ergibt.
Neben dem Enterprise Value sind die Laufzeit der Option und die implizite Volatilität die maßgebenden Bestimmungsfaktoren für die Werthaltigkeit: Der Wert der Option ist umso größer, je länger die Option besteht und je höher die implizite Volatilität des Enterprise Values ist. Es ist intuitiv klar, dass bei einer länger laufenden Option die Wahrscheinlichkeit der Optionsausübung steigt.
Die implizite Volatilität kann in diesem Fall mit der Schwankungsbreite von möglichen zukünftigen Unternehmenswerten übersetzt werden. Je höher die Volatilität, um so eher können Werte oberhalb des Ausübungspreises erreicht werden, mithin umso wertvoller ist die Option.
Für die Bestimmung der Optionslaufzeit ist nicht zwingend die Laufzeit der Verbindlichkeiten relevant. Denn der Vorstand könnte, insbesondere bei einem nachhaltigen Scheitern des finanziellen Restrukturierungskonzepts, sich schon vorher in der Insolvenzantragspflicht befinden. Relevant für die Bestimmung der Optionslaufzeit ist vielmehr der wahrscheinliche Zeitpunkt einer möglichen Insolvenz.
Wenn der Debt-to-Equity-Swap Bestandteil des finanziellen Restrukturierungskonzepts ist, muss aus Sicht der Gläubiger konstatiert werden, dass unabhängig von der Höhe des Marktwerts des Eigenkapitals eine Mitwirkungsnotwendigkeit der Eigenkapitalgeber besteht. Außerhalb der Insolvenz kann ein Debt-to-Equity-Swap zum Beispiel bei einer AG nur mit einer satzungsändernden Mehrheit in einer Hauptversammlung der Gesellschaft beschlossen werden.
Vor dem Hintergrund der Mitwirkungsnotwendigkeit muss den Gesellschaftern ein Anreiz geboten werden, der finanziellen Restrukturierungsmaßnahme zuzustimmen. Die Anreiznotwendigkeit ist aus Sicht der Gläubiger ceteris paribus umso bedeutender, je höher die Wertdifferenz des Debt-to-Equity-Szenarios zu einem Insolvenzszenario ausfällt.
Zusammenfassende Bemerkungen
Befindet sich ein Unternehmen in der finanziellen Krise, so sind verschiedene Szenarien außerhalb und auch in der Insolvenz aufzustellen und zu bewerten. Die einzelnen Szenarien sind mit Wahrscheinlichkeiten zu belegen und können somit auch zu einem Enterprise Value aggregiert werden.
Solange ein Unternehmen sich noch nicht in der Insolvenz befindet, ist die alleinige Anwendung der Wasserfall-Methode zur Bestimmung des Marktwertes des Eigenkapitals nicht richtig. Der Marktwert des Eigenkapitals ist in einer „non-recourse“-Situation nie negativ, sondern als Option auf dem Erwerb des Unternehmens immer positiv. Im Rahmen eines Bewertungsgutachtens, insbesondere bei Fairness Opinions im Zusammenhang mit einem Debt-to-Equity-Swap, sind daher auch optionspreistheoretische Überlegungen heranzuziehen.
1 Dieser Artikel basiert auf Teilen des Kapitels 8, das der Verfasser in dem Werk „Schuldverschreibungsrecht“, herausgegeben durch die Professoren Hopt und Seibt, veröffentlicht hat. Vgl. Dörscher in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2017, Kapitel 8, Rz. 8.49, 8.61 bis 8.69 sowie 8.87 bis 8.97. Im nachfolgenden ist für die Leserlichkeit dieses Artikels auf die Verwendung von Fußnoten verzichtet worden.
Martin Dörscher
Corporate Finance
März 2017
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