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DownloadEs ist keine 20 Jahre her, da konnte man sich als guter Wirtschaftsprüfer über die Bewertungen von Unternehmen durch Investmentbanken nur wundern. Auf der sicheren Grundlage einer Stellungnahme des Hauptfachausschusses der Wirtschaftsprüfer (HFA 2/83) wurde die Bewertung über den Ertragswert klar definiert. Discounted Cash-Flow-Ansätze (DCF) und Multiplikatoren-Bewertungen waren Teufelszeug, welches nur zu einem führte, nämlich zu viel zu hohen Bewertungen. Die Entwicklungen des Neuen Marktes waren ein klares Zeugnis hierfür. Auch heute noch gibt es den Wettstreit um die „richtige“ Unternehmensbewertung zwischen Wirtschaftsprüfern und Investmentbanken. Mit einem Unterschied: Heute kommen die Wirtschaftsprüfer regelmäßig zu Bewertungen, die weit über denen ihrer Bankkollegen liegen. Woran liegt das eigentlich?
Am Anfang jeder Unternehmensbewertung steht die plausible Unternehmensplanung. Hierüber sind sich Wirtschaftsprüfer und Investmentbanken einig. Diese Planung muss integriert erstellt werden. Das heißt, neben der Planung der Gewinn- und Verlustrechnung ist auch eine Bilanzplanung erforderlich. Soweit die Planung als geeignete Basis für die Vorausschau der Unternehmensentwicklung angesehen wird, geht es dann darum, aus der Abzinsung von Ertragsgrößen (EBITDA, Jahresüberschüsse oder Dividenden) den Unternehmenswert abzuleiten. Auch die DCF-Bewertungsmethodik ist seit der Einführung des IDW S1 zwischen Wirtschaftsprüfern und Investmentbanken weitgehend unstrittig. Unterschiede bestehen neben der unterschiedlichen Ableitung der Abzinsungsfaktoren im wesentlichen nur noch bei der Berücksichtigung von Steuern und in der Frage, ob Multiplikatoren-Bewertungen als eigenständige Bewertungen betrachtet werden können (Investmentbanken) oder nur zur Plausibilisierung von DCF- oder Ertragsbewertungen herangezogen werden dürfen (Wirtschaftsprüfer).
Der wesentliche Unterschied zwischen den von Wirtschaftsprüfern und Investmentbanken durchgeführten Bewertungen liegt in der Ableitung von Abzinsungsfaktoren. Beispielhaft kann hier die Ermittlung des WACC (Weighted Average Cost of Capital) genannt werden, welcher in der DCF-Bewertung Anwendung findet. Der WACC gibt die durchschnittlichen Kapitalkosten eines Unternehmens wieder und wird wie folgt berechnet:
Diese simple Formel wird dann interessant, wenn man sich mit den einzelnen Faktoren genauer auseinandersetzt.
Der Gesamtkapitalbedarf ist die Summe aus Eigenkapitalbedarf und Fremdkapitalbedarf (Zinstragende Verbindlichkeiten). Er ist abzugrenzen von den Mitteln, welche einem Unternehmen als Working Capital zur Verfügung gestellt werden (z. B. Lieferantenverbindlichkeiten).
Der Gesamtkapitalbedarf ergibt sich aus den Marktwerten von Eigenkapital und Fremdkapital und lässt sich nicht direkt aus der Bilanz ablesen. Schon hier besteht neben dem Zirkularitätsproblem ein erheblicher Interpretationsspielraum, der von jedem Bewerter mit pragmatischen und wissenschaftlichen Argumenten gefüllt werden kann.
Beim Fremdkapital stellt sich die Frage, welche Finanzierungen zu berücksichtigen sind (z. B. Leasing, Factoring etc.), wie deren zeitlicher Verlauf berücksichtigt werden muss (unterjährig und über den Planungszeitraum) und wie man mit langfristigen Schulden (z. B. Pensionsrückstellungen) umgeht.
Für den Eigenkapitalbedarf stellt sich die Frage, welche Eigenmittel ein Käufer des Unternehmens aufbringen müsste und welcher Teil des Kaufpreise durch bestehende oder neue Finanzierungen erbracht werden könnte. Auch hier besteht natürlich ein Bewertungsspielraum.
Noch interessanter wird es dann aber bei der Ermittlung des Verzinsungsanspruchs der Eigenkapitalgeber. Theoretisch wird dieser aus dem sogenannten CAPM (Capital Asset Pricing Modell) abgeleitet und errechnet sich wie folgt:
Für die Ermittlung des risikofreien Zinses gibt es keine konkreten Vorgaben. Als Vergleichsgröße wird regelmäßig die Rendite von Staatsanleihen herangezogen. Dass auch diese nicht wirklich risikolos sind, haben wir allerdings in den letzten Jahren lernen müssen. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Rendite einer 10-jährigen Bundesanleihe eine Indikation für den derzeitigen risikolosen Zins darstellt. Diese liegt zur Zeit bei 0,5 %. Für 30-jährige Anleihen liegt sie bei 1,25 %. Dieser Vergleichswert wird wohl derzeitig überwiegend für Bewertungen herangezogen. Gegenargument hierzu ist, dass die derzeitige Niedrigzinsphase nicht geeignet ist, den risikofreien Zins geeignet abzubilden und man daher auf eine längere Durchschnittsbetrachtung zurückgreifen muss.
Ähnliche Argumentationsspielräume ergeben sich für die erwartete Rendite des Marktes. Diese wurde in den letzten Jahren aus empirischen Untersuchungen der Unterschiede zwischen den Renditeerwartungen von Aktien-Investoren gegenüber Anleihe-Investoren abgeleitet und lag – je nach Untersuchung und Interpretation – zwischen 4,5 % und 7 %. Über die Jahre ist klar zu erkennen, dass der erwartete Renditeaufschlag mit dem Sinken des risikolosen Zinssatzes gestiegen ist. Kritische Stimmen bezweifeln, dass eine Zukunftsbetrachtung mit historischen Marktrisikoprämien richtig sein kann. Andere Kritiker bezweifeln, dass Aktien (DAX) gegenüber Anleihen (REX) historisch überhaupt Mehrrenditen erzielt haben. Auch hier besteht ein erheblicher Argumentationsfreiraum, der durch Marktusancen gefüllt wird.
Die dritte Komponente des CAPM ist der β-Faktor. Dieser Faktor soll den Abzinsungssatz vom allgemeinen Marktrisiko auf das unternehmensspezifische Risiko transformieren. Entsprechend bedeutet ein β von 1 ein durchschnittliches Marktrisiko. Errechnet wird das β aus eigenen historischen Kursentwicklungen (was aber eine Börsennotierung erfordert) oder aus den Kennzahlen einer Peer Group jeweils im Verhältnis zu einem Index (z. B. DAX oder MSCI). Hier sind die häufigsten Kritikpunkte, dass Peer Group, Index oder Referenzzeitraum falsch gewählt, die Bewertungen an bestimmten Stichtagen durch besondere Ereignisse beeinflusst wurden oder die Zahlenreihen nicht vollständig und ausreichend signifikant seien.
Eine Wahrheit ist schwer zu ermitteln, wobei man sicher davon ausgehen kann, dass aufgrund der wenigen deutschen börsennotierten Unternehmen geeignete deutsche Peer Groups nur in wenigen Fällen gefunden werden können. Und auch hier stellt sich wieder die Frage, inwieweit historische Entwicklungen für Zukunftsprognosen geeignet sind.
Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass der Verzinsungsanspruch der Eigenkapitalgeber analytisch nur in einer größeren Bandbreite ermittelbar ist. Gleiches gilt für den Verzinsungsanspruch der Fremdkapitalgeber. Hier stellt sich die Frage, ob der derzeitige durchschnittliche Zinssatz, den ein Unternehmen für seine Kredite bezahlt, die richtige Referenzgröße ist oder diese auf allgemeine Marktwerte, auch unter Berücksichtigung der in der WACC-Berechnung unterstellten Finanzierungsstruktur, angepasst werden muss. Auch die Berücksichtigung von Steuern gilt es zu diskutieren, z. B. auch vor der häufig negierten Abzugsbegrenzung von Zinsen bei der Gewerbesteuer.
Bei der Berechnung des Unternehmenswertes wird der WACC für die Abzinsung des Terminal Values (unendliche Rente) um den Wachstumsfaktor g reduziert. g gibt den Wert des „unendlichen“ Wachstums an. Diskussionen bei der Ermittlung von g, welcher typischerweise zwischen 1 % und 2 % angenommen wird, sind, dass die Wachstumsraten in den Planungsperioden viel höher waren oder das die dynamische Unternehmensentwicklung der heutigen Zeit überhaupt keinen Raum für die Annahme eines ewigen Wachstums mehr zulassen würde. Wer kennt hier schon die zukünftige Wahrheit?
Warum sind nun diese Unsicherheiten in Zeiten niedriger Zinsen von besonderer Relevanz?
Man muss davon a usgehen, dass unabhängig von spezifischen Situationen die Abzinsungsfaktoren in Niedrigzinsphasen auch niedriger ausfallen, als in „normalen“ Zinsphasen. Die WACC sind also geringer. Diese niedrigen WACC führen nun dazu, dass der Wertbeitrag späterer Perioden mit einem höheren Anteil in die Unternehmensbewertung einfließt. Gleichzeitig muss aber davon ausgegangen werden, dass die Unsicherheit über die Planungsannahmen in späteren Jahren sich immer weiter erhöht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund eines durch EZB-Anabolika gedopten „Current Trading“ verbunden mit der unveränderten Doktrin des ewigen Wachstums als Grundlage fast jeder Unternehmensplanung.
Gleichzeitig steigen die Unternehmenswerte insgesamt mit sinkenden Zinssätzen überproportional. Während die Minderung eines WACC von 10 % auf 9 % den Unternehmenswert um 11 % steigen lässt, erhöht er sich bei einer Veränderung von 5 % auf 4 % schon um 25 %.
Berücksichtigt man bei dieser Betrachtung auch noch den Wachstumsfaktor g, so wird erkennbar, dass bei niedrigen WACC und üblichen g, die Unternehmenswerte extrem steigen. Den Einfluss des WACC auf den Wert des Terminal Values bei einem Wachstumsfaktor g von 1,5 % zeigt die folgende Grafik:
Inwiefern haben diese Erkenntnisse Auswirkungen auf unterschiedliche Ergebnisse der Unternehmensbewertungen von Wirtschaftsprüfern und Investmentbanken?
Wirtschaftsprüfer sind an die Einhaltung der IDW-Vorgaben weitgehend gebunden. Das ergibt sich schon aus der häufigen gerichtlichen Überprüfung von Wertgutachten. Die Begründungen von Einsprüchen gegenüber Bewertungen bei Squeeze-out-Verfahren oder dem Abschluss von Beherrschungsverträgen sind an „wissenschaftlicher Kreativität“ kaum zu überbieten. Entscheidend ist in vielen Fällen nicht der Wert an sich, sondern dessen „fehlerfreie“ Ermittlung. Demgegenüber stellt bei Bewertungen durch Investmentbanken regelmäßig die Frage im Mittelpunkt, ob man zum errechneten Wert Käufer für das Unternehmen findet. Zur Beantwortung dieser Frage bestehen grundsätzlich relativ hohe „Experten-Freiräume“. Entsprechend wird die erwartete Rendite der Eigenkapitalgeber regelmäßig nicht analytisch abgeleitet, sondern ergibt sich aus dem Kontakt mit Investoren. Insbesondere für Investoren in kleineren, nicht gelisteten Unternehmen ist die Erwartung an die Eigenkapitalverzinsung trotz des niedrigen Zinsniveaus weiterhin hoch. Private-Equity-Gesellschaften versprechen gegenüber ihren Investoren häufig noch Renditen von über 20 % (auch wenn diese in den nächsten Jahren nur schwer erreichbar sein werden) und müssen mit entsprechenden Werten bei ihrer Kaufpreisfindung rechnen. Für die Investmentbank muss die Eigenkapitalverzinsung entsprechend der Erwartungen von geeigneten Investoren festgelegt werden. Auch die Ermittlung des β-Faktor erfolgt weniger analytisch, sondern durch die professionelle Einschätzung der finanziellen Stabilität, der Liquidität (der Aktie), der Zyklizität des Geschäftsmodells oder der Transparenz durch den Bewerter.
Durch diese unterschiedliche Betrachtungsweise errechnen sich derzeit tendenziell höhere Bewertungen durch Wirtschaftsprüfer als durch Investmentbanken. Dem Auftraggeber sollte dies bewusst sein und er sollte es z. B. bei der Vergabe einer Fairness-Opinion berücksichtigen. Bei der Durchführung von Impairment-Tests im Rahmen der Abschlussprüfung sind die niedrigen Abzinsungsfaktoren für den Unternehmer natürlich von erheblichem Vorteil, denn Wertberichtigungen können weitgehend vermieden werden. Hoffen wir, dass sich dies in der nächsten Krise nicht wieder negativ bemerkbar macht.
Dr. Jens Kruse, Corporate Finance
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