M.M.Warburg & CO
Corporate FinanceOffen gesprochen
Newsletter zum Download
DownloadNach rund 50 Börsenrückzügen mit teilweise drastischen Kurseinbrüchen müssen wohl auch die Gerichte einsehen, dass der Wert einer Aktie fundamental von dem Prinzip von Angebot und Nachfrage und somit von der Handelbarkeit abhängt und diese nicht bloß ein zu vernachlässigender Faktor bei der Wertbildung ist. Der Gesetzgeber war aufgefordert, sich der Delisting-Problematik mit dem Ziel anzunehmen, einen verbindlichen und den Anlegerschutz gewährleistenden Rechtsrahmen zu schaffen. Die große Koalition hat dies Ende August 2015 mit dem Entwurf zu einer Gesetzesänderung versucht, der Ende September vom Finanzausschuss des Bundestages im Rahmen einer Beschlussempfehlung angepasst und verabschiedet worden ist. So weit, so gut, könnte man meinen, doch schaut man sich das Regulierungskonzept etwas genauer an, erscheint eher eine größere Verunsicherung entstanden zu sein.
Mit ihren jüngsten Entscheidungen zum Delisting in den Jahren 2012 und 2013 hatten sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Bundesgerichtshof (BGH) im Hinblick auf den Schutz der Aktionäre bei einem Börsenrückzug eine Kehrtwende um 180 Grad vollzogen. Insbesondere haben sich die Richter am BGH in der sog. Frosta-Entscheidung dazu entschieden, die Macrotron-Trias aufzugeben und die Zulässigkeit eines Widerrufs der Zulassung von Aktien zum Handel im regulierten Markt nicht mehr an einen Hauptversammlungsbeschluss sowie an ein im Rahmen eines Spruchverfahrens überprüfbares Barabfindungsangebot zu knüpfen, sondern primär dem Kapitalmarktrecht zu unterstellen.
Die über rund 10 Jahre bestimmende Macrotron-Rechtsprechung hatte einen Börsenrückzug – so der Vorwurf in der Praxis – langwierig und teuer gemacht und somit viele Emittenten von einem regulären Delisting Abstand nehmen lassen. Und das, obwohl es durchaus eine Reihe von Unternehmen mit sehr geringen Streubesitzanteilen gab, bei denen die Börsennotierung nur noch ein kostspieliges historisches Erbe war, kein laufender Handel in den Aktien mehr stattfand und die Börse auch nicht als Finanzierungsquelle genutzt wurde. Eine Börsennotierung war dort eine Einbahnstraße und dies auch zum Nachteil der wenigen verbliebenen Streubesitzaktionäre.
Betrachtet man die oben skizzierten Fälle isoliert, so lassen sich die Wertungen und Annahmen des BGH sowie des Bundesverfassungsgerichts nachvollziehen, da hier etwaige Kursverluste gar nicht oder kaum zu beobachten gewesen und die Rechte der Minderheitsaktionäre in der Regel nicht oder nur gering tangiert wurden. Das Gesellschaftsinteresse an einer möglichst angemessenen und kosteneffizienten Unternehmensstruktur dominierte über die Interessen der Minderheitsaktionäre. Die Frosta-Entscheidung bot diesen Unternehmen die Möglichkeit, sich im Unternehmensinteresse und somit auch im Interesse der Aktionäre einer wenig sinnvollen und lediglich kostspieligen Börsennotierung zu entledigen.
Unter den insgesamt rund 50 Emittenten, die seit der Frosta-Entscheidung ein Delisting aus dem regulierten Markt durchgeführt bzw. dieses angekündigt haben, waren jedoch auch Unternehmen mit relevanten Streubesitzanteilen und bestehender Liquidität in der Aktie. Nur in wenigen Fällen wurde dabei der Rückzug von der Börse mit Maßnahmen zum Schutz oder zur Abfindung der außenstehenden Aktionäre, wie z.B. einem freiwilligen Erwerbsangebot, einem Aktienrückkauf der Gesellschaft oder einer Mitentscheidung der Aktionäre im Rahmen einer Hauptversammlung verknüpft.
Nach der Argumentation des Bundesgerichtshofs und auch der Mehrheit vieler Kapitalmarktrechtler sind diese Börsenrückzüge hinzunehmen, da der Schutz der Aktionäre nach Maßgabe der in § 39 Abs. 2 S. 5 BörsG in Bezug genommenen jeweiligen Börsenordnungen der Börsenplätze und einer Klagemöglichkeit im Verwaltungsrechtsweg hinreichend gewährleistet sei. Zwar mag man den Hinweis des Bundesgerichtshofs auf den Rechtsschutz der Aktionäre über den Verwaltungsrechtsweg in Anbetracht der sehr uneinheitlichen Einschätzung der Verwaltungsgerichte zur Klagebefugnis eines Aktionärs bei einem Delisting als fragwürdig bezeichnen, die rechtlichen Wertungen sowohl des BGH als auch vieler Kapitalmarktrechtler sind aber mit Sicherheit vertretbar, da in der Tat mit einem Delisting das Eigentum an den Aktien zunächst nicht verloren geht. Bei einer lebensnahen Betrachtung und unter Berücksichtigung der Kursentwicklungen einiger Delisting-Kandidaten sowie aus Kapitalmarktsicht muss man sich wohl aber eingestehen, dass diese Entscheidungen bzw. deren Folgen eine Katastrophe sind, da ein Delisting nunmehr zum konkreten Anlegerrisiko geworden ist. Der Kapitalmarkt in Deutschland wurde durch diese Entscheidungen beschädigt. Der Aufschrei in der Presse, bei Aktionären und bei Aktionärsschützern ist dementsprechend groß und umso mehr nachzuvollziehen, wenn man sich die aktuellen Entwicklungen ansieht.
In vielen Fällen stellten die Ankündigungen des Börsenrückzugs eine unerwartete Überraschung für die Aktionäre dar, über die Transparenz oftmals nur im Rahmen einer Adhoc-Meldung geschaffen wurde. Diese Meldungen erreichen aber gerade die Privatinvestoren regelmäßig nicht oder nur verspätet. Die teilweise erheblichen Kurseinbrüche (z.B. Magix - 28 %, n.runs - 40 % um nur zwei Beispiele zu nennen) nach den Delisting-Ankündigungen führten bei diesen Aktionären regelmäßig zu nennenswerten Verlusten, die über die Zeit durch ein weiteres Absinken der Kurse noch vergrößert wurden. Im Gegenzug nutzen teilweise Hauptaktionäre diese Kursentwicklungen aus, um ihre Beteiligungen maßgeblich zu niedrigen Preisen am Markt auszubauen. Der Vorwurf der Missbräuchlichkeit stand somit zusätzlich im Raum.
Für viele Aktionäre sind nur handelbare und liquide Aktien von Interesse und viele institutionelle Investoren dürfen sogar nur handelbare Aktien erwerben bzw. halten. Ohne eine zeitgleiche Ankündigung der Durchführung eines Aktienrückkaufs oder eines Erwerbsangebotes löst die Ankündigung des Börsenrückzugs bei diesen Aktionären einen Verkaufsdruck bei entsprechend wegfallender Nachfrage aus. Es kommt zu einem Verkaufswettbewerb unter den Investoren, welcher durch die festen Fristenregelungen z.B. der Börsenordnungen in Frankfurt oder Stuttgart, einem Delisting nach einer Frist von sechs Monaten stattzugeben, noch verstärkt wird. Gerade die schlecht informierten und langsamer handelnden Kleinaktionäre hatten dabei regelmäßig das Nachsehen. Über die Zeit sind aufgrund dieses Verkaufsdrucks die Kursverluste stetig größer geworden. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass einige Aktionäre sogar erst über ihre Depotbank nach Einstellung der Notierung von dem Delisting erfahren haben. Es ist schon ein wenig verwunderlich, dass gerade die Börsenordnung der Börse Frankfurt als wichtigstem Börsenplatz in Deutschland zusammen mit der Börse Stuttgart das niedrigste Schutzniveau aufweist. So sehen die Regionalbörsen in Hamburg, Hannover und Berlin auch nach der Frosta-Entscheidung z.B. eine Pflicht zu einem Erwerbsangebot vor. Die Börse Düsseldorf verlangt dazu zusätzlich eine Beschlussfassung der Hauptversammlung.
Die oben dargestellten Entwicklungen widerlegen erwartungsgemäß sowohl die Einschätzung der Verfassungsrichter sowie die der Richter am Bundesgerichtshof, dass ein Börsenrückzug bzw. dessen Ankündigung keinen Einfluss auf die Kursentwicklung hat und bestätigen die Grundannahme der Macrotron-Entscheidung, dass ein Rückzug von der Börse und der damit einhergehende Verlust der Handelbarkeit der Aktie gerade für die Minderheits- und Kleinaktionäre wirtschaftlich erhebliche Nachteile mit sich bringt. Vor dem Hintergrund von Kurseinbrüchen von bis zu 80 % über einen Dreimonatszeitraum bleibt es spannend zu sehen, ob nicht in Einzelfällen die Aktienkursentwicklungen so drastisch gewesen sind, dass zusätzlich der verfassungsrechtlich zu gewährleistende Schutz des Aktieneigentums in seinem vermögensrechtlichen Element betroffen ist. In seiner Urteilsbegründung lässt das Bundesverfassungsgericht nämlich ausdrücklich offen, ob dies bei besonders drastischen Kursentwicklungen der Fall sein könnte. Eine Quantifizierung dieser Kurseinbrüche hatte das Bundesverfassungsgericht leider nicht vorgenommen.
Der massive Anstieg von Börsenrückzügen aus dem regulierten Markt seit der Frosta-Entscheidung sowie die öffentliche Kritik ist nunmehr auch dem Gesetzgeber nicht mehr verborgen geblieben. Die Politik hat einen entsprechenden Handlungsbedarf erkannt. Fraglich ist nur, ob das in Rede stehende Regulierungskonzept auf Basis des Änderungsantrags der Regierungskoalition vom 31. August 2015 zum Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie (BT-Drucksache 18/5010) bzw. der entsprechenden Beschlussempfehlung des 7. Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 30. September 2015 den Anlegerschutz verbessert und für einen klaren Rechtsrahmen sorgt. Kritik an dem geplanten Regulierungskonzept äußerten bereits sowohl die Schutzvereinigungen DSW und SdK als auch zahlreiche Rechtswissenschaftler.
Die Kritik an dem Regulierungskonzept ist aus unserer Sicht berechtigt, denn wie bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie des BGH zum Delisting, so scheint sowohl bei dem Änderungsantrag als auch bei der Beschlussempfehlung eine makroökonomische Folgenabschätzung völlig unterblieben zu sein. Dies betrifft jedoch – anders als manche Rechtswissenschaftler behaupten – nicht etwaige negative Auswirkungen auf den Kapitalmarktstandort durch eine Ausweitung des Schutzes bei einem Delisting, sondern im Gegenteil die aktuell zu beobachtende Sorge und Verunsicherung der Kapitalmarktteilnehmer aufgrund eines fehlenden Schutzes und effizienten Rechtsregimes beim Börsenrückzug.
Ähnlich wie bereits das Bundesverfassungsgericht und der BGH, ordnen die Regierungskoalition sowie der Finanzausschuss das Delisting als einen kapitalmarktrechtlichen Vorgang ein und schlagen daher konzeptionell eine anlegerschützende Kapitalmarktregulierung über das BörsG sowie das WpÜG vor. Bereits diese Einordnung des Delistings als einen rein kapitalmarktbezogenen Vorgang und nicht als gesellschaftsrechtliche Strukturveränderung ist zumindest diskussionswürdig. Die Regierungskoalition und der Finanzaussauschuss begründen diese Einordnung u.a. damit, dass auch beim Gang an die Börse einzelne Vorgaben für gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen (z.B. eine Zustimmung der Hauptversammlung) keine Anwendung finden. Völlig außer Acht gelassen wird dabei jedoch die gegenteilige Meinung in der juristischen Literatur sowie in der IPO-Praxis, die nämlich zurecht davon ausgeht, dass der Börsengang einer Aktiengesellschaft in einen regulierten Markt eine so schwerwiegende Strukturveränderung darstellt, dass diese einer Zustimmung der Hauptversammlung bedarf. Danach müsste die gleiche Wertung auch für den Börsenrückzug gelten.
Der praktische Umgang mit börsennotierten Gesellschaften zeigt, dass durch die Entscheidung eines Unternehmens, sich dem regulierten Kapitalmarkt als börsennotierte Aktiengesellschaft zu öffnen, nicht zuletzt durch den Verlust von Gestaltungsmöglichkeiten ihres Innenverhältnisses, die strengen Transparenz- und Publizitätsanforderungen und die weiteren rechtlichen Vorgaben und Besonderheiten für der börsennotierten AG de facto eine ganz neue Gesellschaft entsteht, die mit einer nicht börsennotierten AG in vielen Punkten nicht mehr vergleichbar ist. Entgegen der Argumentation des BGH sowie des Entwurfes der Regierungskoalition und des Finanzausschusses wäre es daher sachgerechter, bei der Regulierung des Delistings Parallelen zu den anlegerschützenden Vorgaben und Wertungen z.B. des Umwandlungsgesetzes oder des Konzernrechts zu ziehen.
Selbst wenn man dem kapitalmarkbezogenen Regulierungsansatz folgt, stellt sich die Frage, ob eine Regulierung über die Vorgaben des WpÜG aus Anlegerschutzgesichtspunkten sachgerecht ist. Es ist zwar positiv zu bewerten, dass erkannt wurde, dass durch die Frosta-Entscheidung eine Lücke im Anlegerschutz entstanden ist, die außenstehenden Aktionäre als schutzwürdig anzusehen sind und entsprechende Schutzmechanismen etabliert werden müssen. Ist das vorgeschlagene Regulierungskonzept dazu aber geeignet?
Das Regulierungskonzept sieht u.a. eine Änderung des § 39 BörsG vor. Das Vorliegen eines Erwerbsangebotes nach dem WpÜG und eine Gegenleistung, die sich nach dem gewichteten Durchschnittskurs der letzten sechs Monate richtet, werden zur Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Widerrufs der Zulassung der Aktien zum Handel im regulierten Markt gemacht.
Kurse schwanken stark und bilden nicht zwingend immer auch den fairen Wert eines Unternehmens ab, da nicht zuletzt der Einfluss von Marktstimmungen und makroorientierten Faktoren unternehmensspezifische Daten regelmäßig überlagern sowie Kurse durch gezielte unternehmensspezifische Maßnahmen oder durch besondere Marktspekulationen der Investoren z.B. in Übernahme- oder Abfindungssituationen in beide Richtungen beeinflusst werden können. Insbesondere die Bundesregierung hat in ihrem Änderungsvorschlag übersehen, dass zum einen dem Markt vielfach nicht alle wertbildenden Faktoren bekannt sind und das gerade in Abweichung zur klassischen Situation eines freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebotes nach dem WpÜG in Fällen des Delistings der Bieter oft bereits Großaktionär der Gesellschaft und somit mit der entsprechenden Einflussmöglichkeit auf Vorstand und die Unternehmenspolitik ausgestattet ist.
Die in Übernahmefällen anzunehmende Neutralitätspflicht des Vorstandes ist somit in diesen Fällen nicht immer zweifelsfrei gegeben. Die Einflussmöglichkeiten des Mehrheitsaktionärs sowie die flexiblen Timing-Möglichkeiten versetzen Großaktionäre in die Lage, ein Delisting zu einem für sie möglichst günstigen Preis durchzuführen. Dem fairen Wert der Beteiligung der Aktionäre wird dieser Preis in bestimmten Fällen nicht entsprechen. Nicht ohne Grund sehen auch die Vorgaben für das aktienrechtliche Spruchverfahren im Börsenkurs auch nur die Untergrenze einer angemessenen Abfindung und gerade nicht den fairen Wert. Die Problematik möglicherweise nicht aussagekräftiger Kurse in Delisting-Situationen hat der Finanzausschuss des Bundestages erkannt und eine entsprechende Anpassung des Änderungsantrags der Bundesregierung empfohlen und verabschiedet. Danach soll sich die relevante Gegenleistung in Abweichung zu § 5 Abs. 1 WpÜG-Angebotsverordnung nicht mehr nach dem gewichteten Durchschnittskurs der letzten drei Monate, sondern jenem der letzten sechs Monate richten. Ferner soll die Bemessung der anzubietenden Gegenleistung dann nicht anhand des Börsenkurses erfolgen, sondern eine Unternehmensbewertung relevant sein, wenn Verstöße des Emittenten bzw. des Bieters gegen die §§ 15 und 20a WpHG während dieses Zeitraums vorliegen.
Die Erweiterung des Referenzeitraums auf sechs Monate führt u.E. nicht zu einer höheren Aussagekraft des Durchschnittskurses, da sich Schwankungen oder Einflussnahmen auch auf einen solchen längeren Zeitraum auswirken können und auch ein solch ermittelter Durchschnittskurs nicht geeigneter ist, den fairen Wert der Aktie zum Zeitpunkt des Delistings abzubilden, als ein über drei Monate ermittelter Durchschnittskurs. Auf die unterschiedlichen Interessenlagen sowie die möglicherweise bestehende Einflussmöglichkeit des Hauptaktionärs bzw. der Gesellschaft versucht der Finanzausschuss durch die Etablierung einer Unternehmensbewertung bei Verstößen gegen §§ 15 und 20a WpHG zu reagieren. Diese Regelung ist jedoch weder für die Aktionäre noch für die Emittenten oder Bieter wirklich sachgerecht. Im Hinblick auf den Anlegerschutz ist zu bemängeln, dass diese Regelung nur die „Extremfälle“ von kursbeeinflussenden Handlungen erfasst. Eine Vielzahl von direkten und indirekten Einflussmöglichkeiten und Handlungen erfüllen jedoch gerade nicht die Tatbestände der §§ 15 und 20a WpHG, sondern können als allgemeine und zulässige Maßnahmen der Unternehmenskommunikation oder -steuerung gewertet werden. So kann z.B. die unerwartete und drastische Änderung der Dividendenpolitik auch auf Wunsch eines Großaktionärs negative Auswirkungen auf den Kurs haben. Ein Fall der §§ 15 oder 20a WpHG wäre darin aber in der Regel nicht zu sehen. Die oftmals bei Delisting-Kandidaten gegebene Marktenge verstärkt ferner die Auswirkungen solcher „Eingriffe“. Der Finanzausschuss verlangt ferner, dass der nachgewiesene Verstoß mehr als nur unwesentliche Auswirkungen auf den Durchschnittskurs hat und in dem sechs Monatszeitraum stattgefunden haben muss. Zum einen ist es unklar, was der Finanzausschuss mit „unwesentlich“ meint und zum anderen ist es fragwürdig, warum selbst bei nachgewiesenen Verstößen das Risiko negativer Kurseffekte durch die Aktionäre zu tragen sein soll. Hinzu kommt, dass es de facto in vielen Fällen unmöglich sein wird, eine direkte Kausalität zwischen Rechtsverstoß und Kursauswirkungen – vor allen Dingen in Bezug auf die Qualität der Auswirkung – festzustellen. Dies hätte jedoch zur Folge, dass ein möglicher Schutz der Aktionäre bei Verstößen gegen §§ 15 und 20a WpHG regelmäßig ins Leere laufen wird.
Auch im Interesse des Emittenten bzw. des Bieters könnte eine Sechsmonatsfrist zu lang sein, da eine solch lange Frist z.B. bei bestehenden Marktgerüchten und Spekulationen eine „Verfälschung“ des Referenzkurses auch nach oben erleichtert. Anreize für eine derartige „Manipulation“ sind gegeben, da die Aktionäre von einem solchen „künstlichen“ Premium in jedem Fall profitieren würden, da selbst bei einer niedrigeren Unternehmensbewertung des Emittenten aufgrund eines Verstoßes gegen §§ 15 oder 20a WpHG der Börsenkurs in jedem Fall die Untergrenze für die Gegenleistung darstellt.
Die Fixierung des Börsenkurses als Untergrenze führt daher in diesen Fällen zu unbilligen Ergebnissen und kann sogar die Durchführung eines sinnvollen Delistings – auch zu Lasten der Aktionäre – wirtschaftlich unmöglich machen. Auch in diesen Fällen müsste eine entsprechende und ggf. niedriger ausfallende Unternehmensbewertung relevant sein. Die Neuregelung wird auch Emittenten und Bieter vor neue prozessuale Herausforderungen stellen, da mit entsprechenden Überprüfungen und Verfahren durch die Behörden sowie Klagen von Anlegern nach dem WpÜG in Bezug auf die Angemessenheit der Gegenleistung nunmehr bei quasi jedem Delisting-Fall zu rechnen sein wird. Ob mit der Neuregelung – wie es der Finanzausschuss betont – eine wirkliche Erleichterung und Vereinfachung des Delistings-Prozesses für die Emittenten gerade im Vergleich zu den Macrotron-Vorgaben gelungen ist, darf im Hinblick auf die oben genannten Punkte bezweifelt werden.
Der Regulierungsvorschlag verlangt, dass das Angebot bereits zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Widerruf der Zulassung vorliegen muss. Der Vorschlag kann aus Sicht des Aktionärsschutzes aufgrund der höheren Transaktionssicherheit befürwortet werden, aus Verfahrenssicht erscheint er jedoch problematisch, da aufgrund des notwendigen Abstimmungsprozesses mit der BaFin ein nicht unerheblicher Vorbereitungs-, Dokumentations- und ggf. auch Finanzierungsaufwand im Rahmen der Finanzierungsbestätigung bereits vor der eigentlichen Entscheidung über die Beantragung des Widerrufs verursacht wird. Auch aus Gründen der Adhoc-Publizität und etwaiger Befreiungen nach dem WpHG könnte die notwendige frühzeitige und konkrete Vorbereitung zu Problemen führen. Sachgerechter wäre hier ggf. eine Lösung in Anlehnung an die Vierwochenfrist des WpÜG, die mit Stellung des Antrags auf Zulassungswiderruf bzw. mit Ankündigung der Delistingabsicht zu laufen beginnen würde.
Positiv an dem Beschlussvorschlag des Finanzausschusses ist zu bewerten, dass die durch die Bundesregierung vorgeschlagene Ergänzung des § 39
Abs. 2 S.3 BörsG-E nicht weiter verfolgt worden ist. Die vorgeschlagene Neuregelung hätte die aktuell bereits missliche Lage der Aktionäre weiter verschlechtert, da durch die Ermöglichung eines Delistings im Nachgang zu einem Übernahmeangebot die bestehenden Fristenregelungen aufgehoben worden und die Wertungen der §§ 39a ff. WpÜG teilweise ins Leere gelaufen wären. Für die Übernahmepraxis hätte es ferner ein Ansteigen der Annahmequoten – und zwar unabhängig vom gewählten Preis-Premium – zur Folge gehabt, da nach jedem Übernahmeangebot ein Delisting zumindest theoretisch möglich geworden wäre: Jeder Aktionär hätte mit der Möglichkeit eines Delistings in Folge eines Übernahmeangebotes rechnen müssen. Der Druck zur Annahme von Übernahmeangeboten wäre folglich gestiegen. Die fehlende Entscheidungsfreiheit der Aktionäre ist jedoch auch in dem neuen Regulierungskonzept ein Problem. Aufgrund der hohen Bedeutung der Börsennotierung für die Aktionäre entsteht für sie de facto ein Zwang, das Angebot im Zuge des Delistings anzunehmen. Aufgrund dieser Zwangssituation kommt das Erwerbsangebot im Zusammenhang mit einem Widerruf der Zulassung der Aktien zum Handel im regulierten Markt aus Sicht der Aktionäre faktisch einem Squeeze-Out gleich, jedoch ohne die entsprechenden Schutzmechanismen z.B. durch den Hauptversammlungsbeschluss und die 95 % Kapitalmehrheits-Grenze sowie vor allen Dingen ohne die entsprechende Berücksichtigung des fairen Wertes im Rahmen einer in jedem Fall durchzuführenden unabhängigen und überprüfbaren Unternehmensbewertung. Warum diese Fälle so unterschiedlich behandelt oder abgefunden werden sollen, ist aufgrund der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit der Situation und der Lage der Aktionäre aus Anlegerschutzgesichtspunkten nicht wirklich nachzuvollziehen.
Dass weder der Regierungsentwurf noch die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses Mitentscheidungsrechte der Aktionäre vorsehen, ist bezogen auf die gewählte Regulierungssystematik stringent. Im Interesse der Aktionäre ist es nicht. Die Gefahren von Informationsasymmetrien und die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Großaktionär, Vorstand und Streubesitz sind gerade bei Delisting-Situationen offensichtlich. Eine Mitwirkung oder zumindest eine Information der Aktionäre außerhalb der allgemeinen Adhoc-Publizität im Rahmen einer Hauptversammlung wäre hier geboten.
Die oben angesprochen Punkte zeigen, dass die vorgeschlagene Neuregelung des BörsG zwar in Teilbereichen zu einem größeren Schutz der außenstehenden Aktionäre beiträgt, aber teilweise neue rechtliche Unsicherheiten aufwirft. Wie könnte jedoch eine sinnvollere Reform des Delisting-Prozesses aussehen?
Die Etablierung einer Mitwirkung der Aktionäre im Rahmen einer Hauptversammlung sowie die Gewährleistung einer angemessenen Gegenleistung, die sich nicht ausschließlich nach einem – in beide Richtungen – beeinflussbaren und schwankenden Börsenkurses richtet, sondern die zumindest auch den Ertragswert der Gesellschaft berücksichtigt, sollten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Delistings sein. Nur so kann vermieden werden, dass Aktionäre oder auch der Bieter bzw. Emittent hinsichtlich der Höhe der Entschädigung zum Spielball von kursbeeinflussenden Managemententscheidungen, einer damit verbundenen Informationspolitik oder von Spekulationen und deren jeweilige Vermögensinteressen in den Hintergrund gedrängt werden. Der vorgesehene Schutz über die §§ 15 und 20a WpHG reicht nicht aus, da eine Vielzahl möglicher kursrelevanter Handlungen – auch gerade solcher von Aktionären – davon nicht erfasst wird. Ein solches Regime würde sich auch in die Systematik der anderen Bereiche des Minderheitenschutzes einordnen. So wurden z.B. bei der Neugestaltung des Anfechtungsrechts und der Einschränkung von Kontrollrechten und somit von Mitgliedschaftsrechten die Kleinaktionäre im Wesentlichen auf ihre Vermögensinteressen reduziert. Den Anleger nunmehr bei seinen Anfechtungsrechten auf seine Vermögensinteressen zu reduzieren, dies aber beim Delisting zu ignorieren bzw. grundsätzlich auf den Börsenkurs zu reduzieren, ist nicht richtig und stellt einen Widerspruch gegen die Schutzrichtung des Aktienrechts dar.
Nicht notwendig ist es jedoch, diese Gegenleistung auch noch im Rahmen eines Spruchverfahrens überprüfbar zu machen. Es sollte vorgesehen werden, dass auf der Hauptversammlung auch ein Beschluss über die Bestellung eines externen und unabhängigen Wertgutachters gefasst werden muss und ggf. könnte sogar über eine entsprechende gerichtliche Bestellung eines Wertgutachters nachgedacht werden, um den Vorwurf einer etwaigen Einflussnahme von Hauptaktionären auf die Bestellung noch zu entkräften. Diese Wertermittlung sollte dann auch für alle Parteien verbindlich und lediglich bei offenkundigen Fehlern im Rahmen des Zivilrechtswegs überprüfbar sein. Die bislang vorgesehene Ermöglichung eines Spruchverfahrens hindert zwar nicht die Durchführung des Delistings, ob jedoch die Überprüfung eines externen Gutachtens durch ein anderes externes Gutachten immer zu einem „richtigeren“ Ergebnis führt, darf in Frage gestellt werden. Die zeitlichen und kostenmäßigen Belastungen durch ein Spruchverfahren lasten hier schwerwiegender als der Mehrwert für die Aktionäre. Sollte ferner im Vorfeld zu einem Delisting bereits eine Unternehmensbewertung z.B. im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag erfolgt sein, so sollte auch diese Wertermittlung im Zusammenhang mit dem Delisting maßgeblich sein und auf die Pflicht zu einer gesonderten Wertermittlung verzichtet werden.
Die notwendige Beschlussfassung der Hauptversammlung sollte ferner eine Kapitalmehrheit von 75 % vorsehen. Ein solches Mehrheitserfordernis würde dazu beitragen, unbillige Delistings bei Gesellschaften mit nennenswerten Streubesitzanteilen auszuschließen. Eine solche Regulierungsstruktur entspräche im Wesentlichen den in der Praxis bewährten Vorgaben der Macrotron-Entscheidung und durch die Rechtsverbindlichkeit der Wertermittlung und den Ausschluss des Spruchverfahrens würde ein wesentlicher Kritikpunkt der Macrotron-Vorgaben entschärft. Es sollte ferner darüber nachgedacht werden, ob es nicht der Gesellschaft selber ermöglicht werden könnte, den außenstehenden Aktionären ein Angebot zum Erwerb der Aktien machen zu dürfen und in solchen – mit einem Delisting verknüpften Aktienrückkäufen – die aktienrechtlichen Vorgaben für den Aktienrückkauf entsprechend zu erweitern. Die Ermittlung des Angebotspreises hätte jedoch auch hier auf Basis einer externen und unabhängigen Wertermittlung zu erfolgen.
Sowohl die Regierungskoalition als auch der Finanzausschuss gehen davon aus, dass „gesetzliche Verbesserungen des Anlegerschutzes bei Widerruf der Zulassung eines Wertpapiers zum Handel am Regulierten Markt“ erforderlich sind und durch die Frosta-Entscheidung eine Schutzlücke entstanden ist. Der Regierungsentwurf bzw. die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses schließen diese Lücke jedoch nur in Teilbereichen. Das Regulierungskonzept vermag es vor allen Dingen nicht, für einen rechtssicheren und effizienten Delisting-Prozess zu sorgen und wirkt – auch vor dem Hintergrund der schnellen Einbindung und Reaktion des Finanzausschusses auf den Regierungsentwurf – eher wie schneller politischer Aktionismus. Auch im Vergleich zu bestehenden anlegerschützenden Vorschriften sind der Regierungsentwurf sowie die Beschlussempfehlung teilweise widersprüchlich und wenig stringent, sodass eine erhöhte Rechtsklarheit nicht erreicht wird. Die Vorgaben der Macrotron-Entscheidung lieferten für lange Jahre ein einheitliches und weitgehend interessengerechtes Modell für den Umgang mit Delisting-Vorhaben. Wie die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Regulierungsvorhaben zeigt, ist eine direkte Bezugnahme auf bestehende Regelungen oftmals nicht passend, sei es im WpÜG, im AktG oder im UmwG aufgrund der spezifischen Besonderheiten der Delisting-Situation. Eine einfache gesetzliche Regelung z.B. durch die Aufnahme dieser Grundsätze oder in der oben dargestellten modifizierten Form in das Börsengesetz – wie es ja einige Regionalbörsen in ihren Börsenordnungen unternommen haben – wäre im Hinblick auf die Rechtssicherheit erstrebenswert – auch mit Blick auf einen fairen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen.
Felix Pröfrock
Corporate Finance
Oktober 2015
Weitere Informationen
Ihr Ansprechpartner
Dr. Jens Kurse
Leiter Corporate Finance
M.M.Warburg & CO
Ferdinandstraße 75
22095 Hamburg
Kontakt
Dr. Roman Rocke
Leiter Corporate Finance
M.M.Warburg & CO
Tel. +49 40 3282-2155