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DownloadDie Deutsche Börse ändert wieder einmal ihre Marktsegmentierung. Der 2003 als Nachfolger des Neuen Marktes eingeführte Entry Standard wird zum 1. März 2017 durch ein neues Marktsegment ersetzt. Dieses noch namenlose Börsensegment soll in jedem Fall den Kapitalmarkt für kleinere Unternehmen attraktiver machen. Die gleiche Zielsetzung verfolgt das neue europäische Marktmissbrauchsrecht. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Veränderungen grundsätzlich geeignet sind, den deutschen Kapitalmarkt zu stärken.
Der Deutschen Börse ist bewusst, dass der Kapitalmarkt in Deutschland für Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von weniger als EUR 200 Mio. nur in Ausnahmefällen attraktiv ist. Die Anzahl der IPOs war in diesem Segment in den letzten Jahren im internationalen Vergleich extrem gering und deren Kursentwicklung sowie die Handelsliquidität häufig weder für die Unternehmen noch für die Investoren zufriedenstellend. Nun soll diese Schwäche national durch ein neues Börsensegment und europaweit durch neue Missbrauchsregelungen bekämpft werden.
Das neue Marktsegment wurde von der Deutschen Börse im Rahmen des Eigenkapitalforums im November 2016 vorgestellt und im Dezember durch ein Rundschreiben weiter konkretisiert. Als Zulassungsvoraussetzung sollen Unternehmen, die in dieses Marktsegment streben, drei der folgenden fünf Kriterien erfüllen:
1. Der Umsatz muss bei mindestens EUR 10 Mio. liegen.
2. Das Jahresergebnis darf nicht negativ sein.
3. Der Emittent muss über mindestens 20 Mitarbeiter verfügen.
4. Das bilanzielle Eigenkapital muss positiv sein.
5. Das kumulierte, bereits vor dem Börsengang eingesammelte Eigenkapital muss mindestens EUR 5 Mio. betragen.
Außerdem muss der Emittent seit mindestens zwei Jahren als Unternehmen existieren und ein operatives Geschäft betreiben, der voraussichtliche Kurswert der einzubeziehenden Aktien muss zum Zeitpunkt der Einbeziehung in den Handel grds. mindestens EUR 30 Mio. und der Streubesitz mindestens 20% oder eine Million Aktien betragen.
Das Listing muss durch einen „Capital Market Partner“ begleitet werden, der eine Due Diligence unter rechtlichen, finanziellen, Risiko- und Compliance-Gesichtspunkten durchzuführen und dies gegenüber der Börse zu bestätigen hat. Von der Börse bezahlte Research-Häuser sollen die nachhaltige und unabhängige Coverage der Gesellschaften sicherstellen.
Wodurch begründet sich diese Abgrenzung des neuen Segmentes? Natürlich will die Deutsche Börse sowohl die Fehler des Neuen Marktes als auch die des Entry Standards zukünftig vermeiden. Während sich der Neue Markt durch ein abenteuerliches Wachstum und absurde Bewertungen – die allerdings im Rahmen eines internationalen Trends lagen – auszeichnete, konnte der Entry Standard nie die erhoffte Aufmerksamkeit bei kleinen attraktiven Unternehmen gewinnen.
Entsprechend sollen es jetzt also mehr und „bessere“ Unternehmen sein, die in das neue Börsensegment streben. Attraktiv wird das Segment für solche Unternehmen, wenn sie hier bei angemessenen regulatorischen Auflagen und mit überschaubaren Kosten an den Kapitalmarkt gehen sowie zu angemessenen Konditionen Investoren finden können.
Die regulatorischen Auflagen werden dabei nicht unwesentlich durch die Marktmiss-brauchsregelungen der europäischen Marktmissbrauchsverordnung (MAR) bestimmt, die am 3. Juli 2016 in Kraft getreten ist und das WpHG in weiten Teilen ersetzt hat. Ziele der MAR und der hiermit in Verbindung stehenden Rechtsakte sind die Stärkung und Integration der Kapitalmärkte in der EU. Durch das neue Marktmissbrauchsregime wurde aber nicht nur das geltende Recht EU-weit harmonisiert, sondern das geltende Recht z.T. deutlich verschärft, etwa indem die Regelungen sich nun grundsätzlich auch auf Freiverkehrsemittenten erstrecken – also auch die Emittenten im Entry Standard bzw. im neuen Marktsegment der Deutschen Börse anders als bisher direkt treffen – und dort ein Regelungsniveau etablieren, das dem im regulierten Markt weitgehend entspricht.
Die Abgrenzung der Verbote von Insidergeschäften blieb zwar gegenüber den Regelungen des WpHG weitgehend unverändert – so bleiben der Erwerb und die Veräußerung von Finanzinstrumenten unter Nutzung von Insiderinformationen verboten. Schwieriger wird aber bereits der Umgang mit den neuen Regelungen zur Ad-hoc-Publizität. Während hierzu bisher klare und bewährte Regelungen im WpHG festgelegt waren, müssen nunmehr Regelungen verschiedener Rechtsakte beachtet werden. Hinzu kommt, dass Gerüchte, die außerhalb der Sphäre der Gesellschaft entstehen, nach MAR nun Ad-hoc-Pflichten auslösen können. Auch die formalen Anforderungen in Bezug auf das Führen von Insiderlisten wurden wesentlich verschärft.
Bei den Directors‘ Dealings sind unter dem Regime der MAR neben den Aktiengeschäften nun auch Geschäfte mit Schuldverschreibungen und Derivaten zu melden. Darüber hinaus werden für die betroffenen Personen Handelsverbote von 30 Tagen vor Ankündigung (=Veröffentlichung) eines Zwischenberichts oder Jahresabschlusses etabliert. Die Verbote führen bei Emittenten, die Quartalsberichte veröffentlichen, dazu, dass jedes Jahr mindestens vier Monate lang keine entsprechenden Geschäfte getätigt werden dürfen.
Die neuen Regelungen haben zu neuen Anforderungen an die Organisation und das Berichtswesen von kapitalmarktorientierten Unternehmen geführt. Bei Unternehmen, die vor der Entscheidung stehen, an den Kapitalmarkt zu gehen, wird das Verständnis für solche Anforderungen begrenzt sein – insbesondere auch vor dem Hintergrund der möglichen Sanktionen bei Verstößen gegen diese Regelungen: Natürliche Personen müssen bei Verstößen gegen das Insiderrecht mit Bußgeldern von bis zu EUR 5 Mio., bei Verstößen gegen die Regelungen zur Ad-hoc-Publizität mit bis zu EUR 1 Mio. und bei Verstößen gegen die Directors´-Dealings-Vorschriften mit bis zu EUR 500.000 rechnen. In Anbetracht eines bisher eher geringen Missbrauchs in diesem Bereich stellt sich hier schon die Frage der Verhältnismäßigkeit.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass derartige Verstöße in den weit überwiegenden Fällen wohl versehentlich passieren. Schon das Erkennen von kursrelevanten exogenen Einflüssen ist bei kleinen und mittleren Unternehmen nicht trivial. Die darauf aufbauende Entscheidung, ob eine erkannte Entwicklung als ad-hoc-pflichtig eingestuft werden muss, ist in der täglichen Praxis regelmäßig äußerst schwierig. Die Vorstände sind verpflichtet, derartige Situationen rechtzeitig zu erkennen, in ihren Auswirkungen zu bewerten und ggf. unmittelbar zu veröffentlichen. Dabei ist jedem Vorstand bewusst, dass eine unterlassene oder zu positive Kommunikation der Auswirkungen einer Geschäftsentwicklung rechtlich problematisch sein kann, eine zu frühe oder zu negative Kommunikation ihm aber von den Aktionären spätestens auf der nächsten Hauptversammlung vorgeworfen wird.
Auch kann man heute wohl nicht immer davon ausgehen, dass die Strafverfolgungsbehörden über die notwendige Detailkenntnis und das Fingerspitzengefühl verfügen, um in Fällen des versehentlichen Verstoßes gegen Ad-hoc-Pflichten zu einer für alle Beteiligten vorhersehbaren rechtlichen Bewertung zu kommen. Denn im Nachhinein gibt es immer viele Argumente, warum eine Meldung früher oder anders hätte erfolgen müssen. Die weiten rechtlichen Bewertungsspielräume können zusammen mit den signifikanten Sanktionsmöglichkeiten erhebliche persönliche Folgen für die Beteiligten haben.
Die Lösung des Problems ist insbesondere aus der Sicht der beteiligten Rechtsanwälte ganz einfach. Man muss nur einen qualifizierten Anwalt seines Vertrauens in die Diskussion einbeziehen und damit die sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt dokumentieren. Für privat geführte Unternehmen, die über einen Börsengang nachdenken, ist eine solche permanente rechtliche Beratung aber selten erstrebenswert. Denn die Geschäfte sollten schon nach den Grundsätzen eines ordentlichen Kaufmanns und nicht einer ordentlichen Rechtsberatung geführt werden.
Die betroffenen Unternehmen bzw. Unternehmer werden es auch überhaupt nicht erstrebenswert finden, ihren Namen auf öffentlichen Sünderlisten wiederzufinden, die das neue Marktmissbrauchsregime vorsieht. So stellt sich durchaus die Frage, ob die beabsichtigte Abschreckungswirkung der neuen Regelungen überwiegt, die bewusste Verstöße verhindern soll oder ob nicht vielmehr Unternehmen abgeschreckt werden, den Schritt an den Kapitalmarkt überhaupt zu wagen. Fällt diese ungewollte „Nebenwirkung“ stärker ins Gewicht, würde die Regelung der (deutschen) Volkswirtschaft eher schaden.
Vor diesem Hintergrund ist das neue Marktmissbrauchsregime sicherlich nicht geeignet, Unternehmen den Weg an den Kapitalmarkt schmackhaft zu machen. Denn der Unternehmer, der sein Unternehmen an die Börse führen möchte, muss sich mit diesem Recht sowie den anderen Listingfolgepflichten (z.B. hinsichtlich der fristgerechten Erstellung von Finanzberichten sowie der Veröffentlichung von Stimmrechtsmeldungen) abfinden und setzt sich selbst teilweise erheblichen zusätzlichen Risiken aus.
Wie sieht es nun mit den Kosten eines Börsengangs im neuen Segment der Frankfurter Börse aus?
Wesentliche Kosten des IPO entstehen regelmäßig im Zusammenhang mit der Erstellung, Prüfung und Veröffentlichung des Wertpapierprospekts. Dieser ist für die öffentliche Platzierung neuer Aktien sowie die Zulassung zum Handel im geregelten Markt grundsätzlich erforderlich. Für das reine Listing im neuen Marktsegment der Deutschen Börse genügt hingegen ein unterzeichnetes Einbeziehungsdokument. Dies führt sicherlich zu einem temporären Kostenvorteil. Allerdings werden die – auch in dem neuen Marktsegment prospektpflichtige – Ausgabe neuer Aktien und die Gewinnung neuer Investoren regelmäßig das primäre Ziel eines Börsenganges sein.
Ein wichtiger Kostenvorteil gegenüber dem Listing am regulierten Markt bleibt sicherlich der Verzicht des neuen Marktsegmentes auf eine IFRS-Bilanzierung, die insbesondere im deutschen Mittelstand unbeliebt ist und regelmäßig zu Mehrkosten bei Erstellung und Prüfung der erforderlichen Abschlüsse führt.
Nachteilig wirken sich im Gegenzug die geplanten hohen laufenden Gebühren der deutschen Börse für Emittenten in dem neuen Marktsegment aus. Diese sind nach Umsatzgrößen gestaffelt und erreichen schnell eine sechsstellige Größenordnung. Sie sind damit erheblich höher als im Entry Standard oder auch im geregelten Markt. Begründet wird dies mit der Übernahme von Marketing- und Researchkosten durch die Börse. Damit soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen des Segmentes immer über ein unabhängiges Research verfügen. Diese Unabhängigkeit wird allerdings durch potentiell höhere Kosten, verglichen mit einem Auftragsresearch bei etablierten Banken, sowie der fehlenden Auswahlmöglichkeit des Researchers durch den Emittenten erkauft. Researchhäuser sollten nicht nur unabhängig, sondern auch gut sein. Dies zu beurteilen dürfte der Börse nicht immer leicht fallen. Hingegen wurde die Unabhängigkeit bisher auch bei Auftragsresearch-Mandaten selten in Frage gestellt.
Weitere Kostennachteile gegenüber dem Listing im regulierten Markt ergeben sich für das neue Marktsegment daraus, dass die im geregelten Markt vorgesehenen Prospekt-erleichterungen (für kleine Unternehmen sowie für Platzierungen von Wertpapieren mit einem Emissionserlös von bis zu EUR 5 Mio.) ohne Prospekt im Freiverkehr nicht genutzt werden können.
Insgesamt ist damit also auch kein wesentlicher Kostenvorteil durch ein Listing in dem neuen Marktsegment erkennbar.
Regulatorik und Kosten treten bei der Entscheidung eines Unternehmens, an den Kapitalmarkt zu gehen, regelmäßig dann in den Hintergrund, wenn durch das gewählte Marktsegment ein hohes Investoreninteresse erwartet werden kann. Hier kommen wir zu dem entscheidenden Engpass des deutschen Kapitalmarktes: Es gibt zu wenig Investoren, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Die Finanzierung von Venture-Unternehmen erscheint am deutschen Kapitalmarkt nur indirekt über Beteiligungsunternehmen möglich. Diese wiederum leiden unter den doppelten, häufig nicht abgestimmten oder sich sogar wiedersprechenden regulatorischen Anforderungen des Kapitalmarktes und des KAGB. Es stellt sich also die Frage, ob die Deutsche Börse über das neue Marktsegment und ihr damit verbundenes Marketing so viel Interesse bei Investoren wecken kann, wie es ihr zuletzt Ende der 90er-Jahre mit dem Neuen Markt gelungen ist.
Die Herausforderung, dieses Ziel zu erreichen, ist sicherlich groß. Wir würden uns freuen, wenn sich unsere Bedenken gegenüber dem Erfolg des neuen Marktsegmentes bei Investoren als unbegründet herausstellen sollten und man nicht in einigen Jahren dem Entry Standard nachtrauert. Dies ist derzeit sicherlich bei einzelnen Unternehmen der Fall, die jetzt aus dem Entry Standard ins Basic Board abgeschoben werden.
Wir hoffen auf den Erfolg des neuen Marktsegmentes der Deutschen Börse und stehen für Diskussionen zu diesem und anderen Themen des Corporate Finance gerne zur Verfügung.
Dr. Jens Kruse
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