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DownloadWas ist Verantwortungseigentum?
Mit dem Verantwortungseigentum soll gemäß seiner Initiatoren[1] eine neue Gesellschaftsform etabliert werden, die sich von der wirtschaftlichen Teilhabe am Produktivvermögen und von Ausschüttungsansprüchen löst und das Unternehmen als Werte- und Arbeitsgemeinschaft auffasst. Anteile an der jeweiligen Gesellschaft können nicht mehr veräußert, vererbt oder anderweitig an Dritte, die nicht zu einem definierten Personenkreis (Mitarbeiter) gehören, übertragen werden, und erzielte Gewinne des Unternehmens sollen ausschließlich dem Unternehmen für zukünftiges Wachstum zugutekommen, nicht aber den Anteilseignern. Spenden sollen möglich bleiben. Das Erzielen von Einnahmen durch Ausschüttungen ist für die Anteilseigner demnach nicht möglich und die Realisierung eines Verkaufserlöses unzulässig. Zudem sollen diese Gestaltungsmerkmale unabänderlich sein, also ähnlich einer Stiftung auch nicht durch einen einstimmigen Beschluss der Anteilsinhaber geändert werden können. Steuervergünstigungen im Vergleich zu anderen nicht-gemeinnützigen Gesellschaftsformen zu erhalten, ist kein Ziel des Verantwortungseigentums.
Damit, so behaupten die Initiatoren, entwickelt diese Gesellschaftsform den Begriff des „Familienunternehmens“ weiter, wobei die Familie nicht genetisch, sondern als „Fähigkeiten- und Werteverwandtschaft“ definiert wird. Konkret sind damit die Beschäftigten und Mitarbeiter gemeint, die die Anteile quasi treuhänderisch über die Zeit ihrer Beschäftigung halten und nach Ausscheiden übergeben müssen. Das Unternehmen gehört sich also faktisch selbst.
Ziel ist die Schaffung einer verantwortungsbewussten, innovativen, gesellschaftskompatiblen und langfristig orientierten Unternehmensführung, die den (kurzfristigen) Shareholder Value-Gedanken hinter sich lässt. „Es sollen weder anonyme InvestorInnen Kontrolle über das Unternehmen erhalten noch potentiell uninteressierte Nachkommen automatisch als NachfolgerInnen eingesetzt werden.“[2] In der Begründung für diese Rechtsform werden zudem u.a. Argumente wie „soziale Durchlässigkeit“, indem sich die Macht und das Eigentum nicht genetisch überträgt, sondern nach der Befähigung für die jeweilige Position, „Verteilungsgerechtigkeit“, „Förderung der intrinsischen Arbeitsmotivation der Mitarbeiter“ sowie „Stärkung des Wettbewerbs durch Erschweren von Marktkonzentrationen“ genannt. Zudem soll damit eine Gesellschaftsform etabliert werden, die aufgrund des gezähmten Gewinnstrebens Einzelner Unternehmensskandale und Machtmissbrauch durch große Unternehmen sowie Monopolgewinne eindämmt, eine unzureichende Regulierung durch ethisches Verhalten ergänzt und legalen, aber als illegitim empfundenen internationalen rechtlichen Gestaltungsspielräumen entgegenwirkt.
Das Konzept erfährt eine breite politische und gesellschaftliche Unterstützung. So haben sich u.a. bereits Politiker wie Peter Altmaier, Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) und Sara Wagenknecht (Die LINKE), der Wirtschaftsforscher Prof. Marcel Fratscher (DIW) oder die Manager Franz Fehrenbach und Volkmar Denner (beide Bosch) positiv zu dieser Initiative geäußert.
Ist eine solche Fortentwicklung der Gesellschaftsformen rechtlich nötig?
In der Praxis gibt es bereits jetzt „Workarounds“, um einige Aspekte oder möglichst weitgehend das Konzept des Verantwortungseigentums umzusetzen. Zu nennen sind da beispielsweise unterschiedliche Konstruktionen unter Einbeziehung von Stiftungen, Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaften, besondere Satzungsgestaltungen, das Auseinanderfallen von Stimmrechten und wirtschaftlichem Eigentum, Golden Shares, Vinkulierungen, Vorzugsaktien sowie Kombinationen aus einigen dieser Gestaltungsmerkmale. Auf die einzelnen Möglichkeiten, bereits heute „synthetisch“ Gesellschaften in Verantwortungseigentum zu errichten, soll hier nicht näher eingegangen werden. Beispiele für derartige Unternehmen sind Bosch, Carl Zeiss, Mahle oder ZF Friedrichshafen.
Es lässt sich aber festhalten, dass sich die Ziele der Vermeidung bzw. Reglementierung von (übermäßigen) Gewinnausschüttungen und das Verhindern des Eindringens Dritter in den Gesellschafterkreis relativ gut erreichen lässt. Diese Konstruktionsmerkmale aber dauerhaft und absolut unveränderlich zu etablieren, stößt an Grenzen.
Konstruktionen über Stiftungen kommen der dauerhaften Unveräußerlichkeit am nächsten, allerdings erfordern diese einen über den reinen Unternehmensbetrieb hinausgehenden „zusätzlichen“ Zweck und bringen immer auch Stiftungs-Aufsichtsbehörden und für Stiftungen vorgesehene Strukturmerkmale, wie z.B. Mindestausschüttungsquoten, und nicht-unternehmerische Anreizstrukturen ins Spiel. Zudem gelten für Stiftungen geringere Publizitätsanforderungen und Mitarbeiterrechte.
Diese „synthetischen“ Konstruktionen führen aber nur zu einer faktischen, nicht aber zu einer rechtlich unabänderlichen Verhinderung der Anteilsübertragung und der Gewinnausschüttung. Sie erschweren es zum Teil erheblich, machen es aber nicht absolut unmöglich, Unternehmen zu verkaufen, zu fusionieren oder Gewinne an die Inhaber auszuschütten. Zudem sind solche Konstruktionen meist mit erheblichen Strukturierungs- und Strukturkosten behaftet, sodass die Einführung einer neuen Gesellschaftsform – sofern dies auch wirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvoll ist – geboten sein könnte.
Und ist dies wirtschaftlich sinnvoll?
Um es kurz zu beantworten: nein. Die von den Initiatoren aufgeführten Argumente klingen schön, altruistisch und voll von gesellschaftlicher Verantwortung, schwächen in ihrer Konsequenz aber das jeweilige Unternehmen und den Wirtschaftsstandort im Allgemeinen.
Das angeführte Argument, dass die Existenz von Unternehmen in Verantwortungseigentum den Wettbewerb erhöht, da diese Unternehmen nicht für Übernahmen zur Verfügung stehen und daher der Konzentration im Wirtschaftsleben entgegenstehen, greift zu kurz. Konzentrationsprozesse sind nicht primär Ausfluss übermäßigen Gewinnstrebens, sondern Ergebnis von Wettbewerbssituationen und Marktmechanismen. Entweder führt die Kombination von zwei Unternehmen oder Technologien potentiell zu einem Mehrwert, also eins plus eins ist mehr als zwei, oder eines der Unternehmen stellt fest, dass es voraussichtlich langfristig im Wettbewerb unterlegen ist. In beiden Fällen ist eine Fusion grundsätzlich wirtschaftlich sinnvoll. Wenn nun eine Konsolidierung für Unternehmen in Verantwortungseigentum per se ausgeschlossen wird, wird die Möglichkeit von volkswirtschaftlichen Fusionsgewinnen (eins plus eins ist mehr als zwei) unterbunden bzw. können die im Wettbewerb potentiell mittelfristig unterlegenen Unternehmen das von ihnen bisher Geleistete nicht mehr in einer neuen Einheit weiterführen, sondern werden durch Insolvenz aus dem Wirtschaftsleben ausscheiden oder zu Unternehmenszombies. Mit einer Insolvenz geht der Wirtschaft und der Gesellschaft aber immer auch eine Menge an zuvor geleisteter Wertschöpfung unwiederbringlich verloren. Insofern sind Fusionen und Übernahmen ein wichtiger Bestandteil des Wettbewerbs und des Erhalts von erbrachter Wertschöpfung, und ihre Verhinderung ist wirtschaftlich kontraproduktiv. Was wäre mit Krupp passiert, wenn es nicht mit Thyssen oder einem anderen Unternehmen hätte fusionieren können, sondern sich alleine der Marktkonsolidierung in der Stahlbranche hätte stellen müssen?
Unerwünschten Konzentrationsprozessen entgegenzuwirken ist daher eine Aufgabe der Regulierung, nicht aber des Gesellschaftsrechts. Die Förderung von Innovationen und Gründungsaktivitäten ist ein Beitrag zur Förderung des Wettbewerbs, nicht aber die Verhinderung von Gesellschafterwechseln.
Das Argument, dass Unternehmen in Verantwortungseigentum besser finanziert sind, als andere Unternehmen, da sie keine Gewinne an ihre Anteilseigner ausschütten müssen, stimmt so auch nicht. Es ist unbestritten, dass klassische Unternehmen in bestimmten Konstellationen an übermäßigen Ausschüttungserwartungen und -anforderungen leiden, z.B. nach einer hochgeleveragten PE-Übernahme in Verbindung mit einer Wirtschaftskrise. Allerdings führt eine grundsätzliche Ausschüttungssperre entweder zu einer im besseren Fall unnötigen Überfinanzierung (Fehlallokation des Kapitals) und damit zur Gefahr der Fehlinvestition, da zu viel Kapital vorhanden ist und dies nicht sinnvoll genutzt werden kann. Es wird also tendenziell ineffizient eingesetzt. Oder es fehlt im schlimmeren Fall die Möglichkeit weiteres Eigenkapital für Wachstum zu beschaffen. Denn welcher externe Kapitalgeber wird jemals Eigenkapital in nennenswertem Umfang bereitstellen, wenn er dafür keine Dividenden erhalten und die Beteiligung nicht veräußern kann. Dies ist gerade in kapitalintensiven, forschenden, stark wachsenden oder skalierenden Branchen ein Problem. Durch die grundsätzliche Ausschüttungssperre und Nicht-Übertragbarkeit der Anteile wird Kapital tendenziell also ineffizienter eingesetzt oder steht im Bedarfsfall nicht zur Verfügung.
Ein Unternehmensleben ist voll von Krisen und Veränderungen sowie von Chancen, die sich ergeben und genutzt werden sollten, um zu überleben. Auf diese Veränderungen müssen die Geschäftsführungen und die Eigentümer jeweils ihre eigenen und dem dann herrschenden Umfeld entsprechenden Antworten finden. Diese Herausforderungen können aus Veränderungen bei den Produkten und den adressierten Märkten, der Produktionsverfahren und Technologien, des rechtlichen, regulativen und steuerlichen Umfelds, des Wettbewerbs, des Geschäftsmodells, der Finanzierungssituation und vielen anderen Ursachen herrühren. Um all diese Herausforderungen dauerhaft, und das heißt nicht jetzt oder in den nächsten fünf Jahren, sondern für immer, zu meistern, muss das Unternehmen über eine maximale Flexibilität verfügen, sich verändern zu können. Dies schließt die Möglichkeit zur Änderung der Rechtsform genauso ein wie die Möglichkeit zur Aufnahme weiterer Gesellschafter, die Einwerbung weiteren Eigenkapitals sowie das Zusammengehen mit anderen Unternehmen. Wird diese Flexibilität unumkehrbar eingeschränkt bzw. vollständig unterbunden, stehen der Unternehmensführung im Bedarfsfall genau die Instrumente nicht zur Verfügung, die es für eine notwendige Anpassung an sein Umfeld benötigt. Dies reduziert dann die Überlebenswahrscheinlichkeit. Und genau die darauf ausgerichtete Flexibilität ist beim Verantwortungseigentum aus gut gemeinten Gründen dauerhaft und kategorisch ausgeschlossen. Es ist aber anmaßend, wenn die heutigen Entscheidungsträger ihren Willen perpetuieren und zukünftigen Generationen ihre Handlungsmöglichkeiten und Flexibilität versagen.
Auch das Erwähnen von Unternehmen wie Bosch oder Zeiss, die seit langem erfolgreich in einem dem Verantwortungseigentum vergleichbaren Konstrukt geführt werden, wiederlegt diesen Zusammenhang nicht. Sie sind erstens nur noch nicht in eine Situation gekommen, die ein entsprechendes Reagieren unbedingt erfordert hätte, und könnten zweitens theoretisch entsprechende Änderungen in Abstimmung mit allen betroffenen Gremien vornehmen, wenn dies absolut notwendig wäre.
Es ist immer problematisch, wenn eine Generation ihre Ansichten für die nächsten Generationen unabänderlich machen möchte. Jede Generation hat das Recht, ihr jeweiliges Umfeld verantwortlich und mit Blick auf die Nachfolgegenerationen zu gestalten. Unabänderliche Festlegungen der Vorgängergenerationen sind im Wirtschaftsleben bisher aus gutem Grund unzulässig, da die Antworten von heute nicht die Probleme von morgen lösen.
Die Initiatoren möchten mit dieser neuen Gesellschaftsform zudem Skandalen und illegitimen Praktiken in der Wirtschaft vorbeugen. Ob mit dieser Rechtsform allerdings Wirtschaftsskandale verhindert oder eingedämmt werden können, muss zumindest stark bezweifelt werden. Sowohl Bosch als prominentestes Beispiel der Initiatoren für ein „synthetisches“ Verantwortungsunternehmen als auch VW als Unternehmen mit einem vergleichsweise überragenden Einfluss der Mitarbeiter waren z.B. vor den Verfehlungen des Dieselskandals nicht gefeit.
In der Argumentation der Initiatoren werden externe Geldgeber als kontraproduktiv für die jeweilige Gesellschaft dargestellt. Sie ermöglichen der Gesellschaft in der Realität aber auch den Blick und den Rat von außen. Unabhängige und kundige Aufsichtsräte sind auch dann für Unternehmen hilfreich, wenn sie unangenehme Fragen stellen. Gibt es keine externen Aktionäre und die Verantwortungseigentümer lassen sich freiwillig von von ihnen ausgewählten Personen überwachen und beraten, ist die Unabhängigkeit bei der Governance nicht mehr gegeben. Auch das ist nicht skandalverhindernd.
Aber gibt es Wirtschaftszweige, bei denen mögliche Vorteile die Nachteile überlagern?
Dies lässt sich heute nur vorläufig abschätzen und nicht für alle Zeiten beantworten, insofern ist dies wieder ein Argument gegen die Perpetuierung der Rechtsformgestaltung. Es wurde erwähnt, dass diese Rechtsform für kapitalintensive und stark skalierende Industrien besonders einschränkend ist. Auch für Neugründungen, die in ihrer Anfangszeit regelmäßige Kapitalzufuhren über Crowdfunding-Initiativen hinaus benötigen, wäre diese Rechtsform nicht hilfreich. Bleiben also Branchen und Unternehmen, die keinen hohen Eigenkapitalbedarf haben, bereits profitabel und idealerweise stark vom Know-how und dem Zusammenwirken der Mitarbeiter abhängig sind. Nicht umsonst haben die Initiatoren die Rechtsform des Verantwortungseigentums mit der einer Anwaltspartnerschaft verglichen. Zu nennen wären z.B. Agenturen, Handwerksbetriebe oder Ingenieurbüros. Auf der anderen Seite: Was machen diese Gesellschaften mit etwaigen Übergewinnen?
Angeführt wird von den Initiatoren auch, dass Unternehmen gerade in der Digitalwirtschaft ihre Monopolstellungen illegitim ausnutzten und durch die Einführung dieser Rechtsform sich selbst beschränken könnten. Unausgesprochen zielt das auf Unternehmen wie Google oder Amazon. Wir haben oben gezeigt, dass Google oder Amazon aufgrund der Finanzierungshemmnisse sehr wahrscheinlich nie diese Monopolstellung erreicht hätten, wenn sie in der Rechtsform einer Verantwortungsgesellschaft geführt worden wären. Das heißt, man müsste deren Aktionäre jetzt davon überzeugen, ihre Gesellschaft in Verantwortungseigentum umzuwandeln (eher unrealistisch) oder die Gesellschaft zwanghaft umwandeln (unzulässiger Eingriff in das Eigentumsrecht). Der Plattformwirtschaft mit ihrer „the winner takes it all“-Gesetzmäßigkeit Einhalt zu gebieten, funktioniert demnach nicht über eine neue Rechtsform.
Fazit
Eine Rechtsform wie das Verantwortungseigentum gibt es bisher nicht und lässt sich nur unvollständig oder mit unerwünschten Nebeneffekten sowie mit erheblichen Strukturierungs- und Strukturkosten synthetisch umsetzten.
Die Erschwerung von übermäßigen Ausschüttungen, die Bindung des Unternehmens an einen bestimmten, über die Familie hinausgehenden Personenkreis und das Verhindern, dass ein Unternehmen zum kurzfristigen Spielball von externen Finanzinteressen wird, kann sinnvoll sein, ist aber bereits mit den derzeit bestehenden Rechtsformen relativ leicht abbildbar.
Die Zwangsthesaurierung von Gewinnen und die Verhinderung der Übertragbarkeit führen zu eingeschränkten Finanzierungsmöglichkeiten und damit zur Wettbewerbsschwächung dieser Unternehmensform und zu Kapitalfehlallokationen.
Wirtschaftlich und gesellschaftlich problematisch ist aber insbesondere, die Unternehmensverfassung unabänderlich zu gestalten, da hierdurch zukünftigen Generationen ihnen zustehende Gestaltungsmöglichkeiten und Flexibilität genommen wird. Genau hierauf zielt aber das Verantwortungseigentum im Kern.
Vor diesem Hintergrund brauchen wir keine neue Rechtsform. Die eventuell positiven Aspekte sind bereits mit den bisherigen Rechtsformen umsetzbar, und die absolute Unabänderlichkeit der Unternehmensverfassung sollte nicht gestattet werden.
Till Wrede
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[1] U.a. die Stiftung Verantwortungseigentum, zu deren Gründungsmitgliedern u.a. der Kondomhersteller Einhorn, Bio-Produzent Alnatura und Weleda gehören.
[2] Stiftung Verantwortungseigentum – Eine Eigentumsform für langfristig wertorientiertes Unternehmertum, S. 4.
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Dr. Roman Rocke
Leiter Corporate Finance
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