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DownloadDie über das Finanzwesen hereingebrochene Regulierungsflut in Form von MiFID II und Marktmissbrauchsverordnung (MAR) ist bereits umfangreich beschrieben worden – überwiegend mit einem kritischen oder sehr kritischen Unterton. Man hat den Eindruck, dass jeder Aspekt dieser Regulierungen mittlerweile bis ins kleinste Detail diskutiert wurde, wenn auch nicht selten mit dem Ergebnis, dass die Auswirkungen auf die Praxis noch nicht klar sind und die Aufsichtsbehörden ihre Auslegung der Regeln erst noch finden müssen. Bei den MiFID II Regeln, die erst zu Jahresbeginn in Kraft getreten sind, ist das nicht völlig überraschend. Die MAR hingegen gilt bereits seit Mitte 2016 und mit ihr die Regeln für Marktsondierungen. Deren Anwendung auf die Veräußerung von strategischen Anteilen an börsennotierten Unternehmen wurde bisher jedoch so gut wie gar nicht diskutiert. Sie kann aber von weitreichender Bedeutung in den betroffenen M&A-Prozessen sein.
Die Regeln für Marktsondierungen nach der MAR beziehen sich in erster Linie auf klassische Kapitalmarktplatzierungen, bei denen der Emittent bzw. die begleitenden Banken zur Reduzierung des Transaktionsrisikos die Aufnahmebereitschaft des Kapitalmarkts für das anzubietende Wertpapier bei einigen wenigen Investoren prüfen (sondieren). Hierbei werden einzelne Investoren über die Absichten des Emittenten, eine Wertpapierplatzierung anzustreben, vor der öffentlichen Bekanntgabe informiert. Gegebenenfalls werden ihnen in diesem Zusammenhang auch weitere vertrauliche Informationen offengelegt (Wall Crossing). Dadurch werden die Investoren zu Insidern und unterliegen einem Handelsverbot in den Wertpapieren des Emittenten bis zum Ende ihrer Insiderstellung.
Auf dieser Informationsgrundlage geben die angesprochenen Investoren den Banken sehr kurzfristig eine Rückäußerung hinsichtlich ihres potentiellen Zeichnungsverhaltens (Teilnahme, Volumen, Preisindikation). Die Banken und der Emittent entscheiden auf dieser Basis, ob die Platzierung in der geplanten Form und zum gewünschten Zeitpunkt durchgeführt werden kann.
Bei einer positiven Entscheidung werden die bis dahin vertraulichen Informationen veröffentlicht und die Platzierung durchgeführt. Das Handelsverbot für die angesprochenen Investoren entfällt mit der Veröffentlichung der Informationen. Bei einer negativen Entscheidung werden die angesprochenen Investoren darüber informiert, dass der Emittent von der Transaktion Abstand nimmt und die übermittelten Informationen keine Insidertatsache mehr darstellen. Es versteht sich von selbst, dass kapitalmarktorientierte Investoren an diesem mit einem Handelsverbot für Wertpapiere verbundenen Verfahren nur teilnehmen, wenn sie sicher sind, dass das Handelsverbot nur kurzfristig (1–3 Tage) besteht.
Vor Einführung der MAR hatten die Banken für diese Fälle des Wall Crossings jeweils eigene Organisationsanweisungen definiert, die im Grundsatz alle folgenden Ablauf vorsahen:
Dieses Vorgehen hat der Gesetzgeber im Rahmen der MAR rechtlich geregelt, indem er einen Dokumentationstsunami über Banken, Emittenten und Investoren hat rollen lassen, mit der Konsequenz, dass nun nicht mehr nur klassische Kapitalmarkttransaktionen, sondern auch die Vorbereitung einer öffentlichen Übernahme und bestimmte M&A-Prozesse für börsennotierte Gesellschaften von dieser Regulation umfasst werden.
Seit Einführung der MAR muss nun vor Durchführung einer Marktsondierung geprüft werden, ob und wenn ja, welche Insiderinformationen offengelegt werden sollen. Das Ergebnis der Prüfung und die Erwägungsgründe sind in einer vorgegebenen Form elektronisch zu erfassen und während der Marktsondierung laufend zu überprüfen und zu aktualisieren. Auch für den Fall, dass nach Auffassung der Sondierer keine Insiderinformationen offengelegt werden sollen, muss das Procedere komplett eingehalten werden.
Die Marktsondierungsregulierung sieht vor, dass die potentiellen Investoren auf Basis einer stark formalisierten Standarddokumentation befragt werden, ob Bereitschaft für die Teilnahme an der Marktsondierung besteht (ähnlich oben 1.). In dieser Standarddokumentation wird meist auch geregelt, dass sämtliche Telefonate zu dieser Transaktion aufgezeichnet werden. Zudem werden Datum und genaue Uhrzeit der Ansprache aller Investoren sowie alle Reaktionen laufend in einer Liste dokumentiert. Ebenso ist eine Liste über alle Investoren zu führen, die der Teilnahme an der Sondierung widersprochen haben. Die gleichen Aufzeichnungspflichten gelten für das verpflichtende Cleansing zum Ende der Marktsondierung. Die Aufzeichnungen müssen unabänderlich sein, so dass das Führen einer Exceltabelle aus Sicht des Regulators nicht ausreichend ist.
Die eigentliche Sondierungsunterlage mit den Informationen zur geplanten Transaktion muss für alle Teilnehmer identisch sein. Änderungen oder Ergänzungen der Unterlage während der Investorenansprache führen automatisch zu einer Aktualisierungspflicht gegenüber allen bisher angesprochenen Investoren. Das Gleiche gilt für mündlich oder anderweitig weitergegebene Informationen: Auch hier müssen einem Investor zusätzlich zur Verfügung gestellte Informationen (wie z. B. Antworten auf Fragen) auch allen anderen teilnehmenden Investoren unverzüglich zugänglich gemacht werden. Nach Erhalt der Sondierungsunterlage muss auch der angesprochene Investor die erhaltenen Informationen auf Insiderrelevanz prüfen und seine Einschätzung dokumentieren. Darüber hinaus gelten für die teilnehmenden Investoren weitere rechtliche Verhaltensanforderungen.
Um den Anforderungen der Marktsondierungsregeln auf handhabbare Weise zu entsprechen, sollten sämtliche Telefonate mit Zustimmung der Investoren aufgezeichnet werden. Sofern dies im Einzelfall nicht möglich ist, müssen Gesprächsprotokolle erstellt und beidseitig unterschrieben werden. Können sich beide Seiten nicht auf einen Text einigen, muss jede Seite ein eigenes Protokoll unter Einhaltung der rechtlichen Vorgaben anfertigen. Alle hier erwähnten Dokumente (Einstufung der Informationen, Marktsondierungsliste, Gesprächsmitschnitte und -protokolle, E-Mails, etc.) sind für mindestens 5 Jahre zu archivieren, um der BaFin jederzeit eine Prüfung zu ermöglichen.
In der Transaktionspraxis am Kapitalmarkt hat die Regulierung der Marktsondierung zu einer verstärkten Nutzung des sog. Soft Announcements geführt, d.h. die Tatsache, eine Transaktion zu prüfen, wird vom Emittenten frühzeitig öffentlich bekannt gegeben. Auf dieser Grundlage kann mit Investoren besprochen werden, ob sie zu gegebenem Zeitpunkt Interesse an einer Teilnahme an der erwogenen Transaktion hätten, ohne dass die strengen Formalien für Marktsondierungen eingehalten werden müssen. Das aus solchen Investorengesprächen gewonnene Feedback ist allerdings nicht so belastbar wie bei der oben beschriebenen Marktsondierung nach MAR, da der zeitliche Abstand des Soft Announcements zur geplanten Transaktion deutlich größer und für den Investor nicht abschätzbar ist und keine über die Transaktionsabsicht hinausreichenden nicht öffentlich verfügbaren Informationen weitergegeben werden können.
Was bedeutet dies nun für einen kontrollierenden Aktionär einer börsennotierten Gesellschaft, der vielleicht auch in den Organen der Gesellschaft vertreten ist und seinen Anteil an einen Wettbewerber oder eine Beteiligungsgesellschaft verkaufen möchte?
Der mit der Durchführung des Verkaufsprozesses beauftragte Berater hat bisher ein Memorandum verfasst, in das oft auch Planungsrechnungen und andere interne Informationen der Gesellschaft Eingang gefunden haben, eine (kurze) Anspracheliste geeigneter potentieller Käufer in Abstimmung mit dem Verkäufer erstellt, mit diesen eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit Hinweis auf die Insiderstellung abgeschlossen und den Verkauf endverhandelt. Der Abschluss des Kauf- oder Andienungsvertrages hat zumindest bei Emittenten im regulierten Markt regelmäßig eine Pflicht zur Ankündigung eines Übernahmeangebotes ausgelöst.
Der Berater dieses Verkaufsprozesses und auch der potentielle Käufer haben im Grundsatz seit Juli 2016 die Regelungen der MAR für die Marktsondierung wortgetreu anzuwenden, da es sich um „die Übermittlung von Informationen vor Ankündigung eines Geschäfts an einen oder mehrere potenzielle Anleger, um das Interesse […] an einem möglichen Geschäft und dessen Bedingungen wie seinem Umfang und seiner preislichen Gestaltung abzuschätzen“ handelt (MAR Art. 11 (1)). Dies umfasst also den gesamten Katalog der genannten Pflichten, nämlich Dokumentation, Aufzeichnung/Protokollierung aller Gespräche, Prüfung, welche Insiderinformation gegeben werden sollen bzw. erhalten wurden, und die sonstigen Verhaltenspflichten. Hinsichtlich des Cleansings kann es aufgrund der erhaltenen Insiderinformationen Schwierigkeiten geben, da nicht alle Informationen eines M&A-Prozesses nach dessen Durchführung oder Abbruch ihre Insiderrelevanz verlieren. Daher ist bei der Auswahl der offenzulegenden Informationen während des Prozesses besondere Sorgfalt geboten.
Man kann in Bezug auf die Anwendung der MAR auf M&A-Prozesse feststellen, dass potentielle Unternehmenskäufer, die keine institutionellen Investoren sind und auch sonst mit der Regulierungspraxis am Kapitalmarkt nicht tagtäglich zu tun haben, wenig Verständnis für die Anwendung der oben beschriebenen Regularien und Dokumentation haben (Banken und Kapitalmarktinvestoren haben dieses Verständnis übrigens auch nicht, sie haben sich nur schon daran gewöhnt) und meist nur geringe Bereitschaft verspüren, sich diesen zu unterwerfen. Insbesondere fehlen ihnen auch oft die organisatorischen Voraussetzungen, um allen mit der Anwendung der Regeln verbundenen Pflichten vollständig und rechtssicher entsprechen zu können. Zudem ist die Aufzeichnung sämtlicher Gespräche in einer Transaktion für sie neu und abschreckend. All diese Faktoren führen dazu, dass sich der potentielle Käuferkreis für ein kontrollierendes Aktienpaket zusätzlich zum schon vorhandenen Malus „Börsennotiz“ deutlich verkleinert.
Darüber hinaus können die Informationsregelungen der MAR (unverzügliche Herstellung vollkommender Informationsgleichheit), gedacht für eine kurze Marktsondierung am Kapitalmarkt, schon aus praktischen Gründen nicht eins zu eins auf einen mehrmonatigen M&A-Prozess mit sukzessive ausscheidenden Bietern, intensiven Kaufvertragsverhandlungen sowie einer Due Diligence inklusive Q&A-Runden angewendet werden. Hier muss ggf. von der wortgetreuen Anwendung der Vorschriften der MAR aufgrund der Handhabbarkeit etwas abgewichen werden. Dies kommt jedoch keinesfalls einem Freibrief gleich, die Regeln unbeachtet zu lassen, sondern ermöglicht es gegebenenfalls, in engem Rahmen von der Informationsgleichheit abzuweichen, soweit Bieter den Prozess verlassen und/oder Exklusivität vereinbart wurde. Ein Verlassen des Safe Harbour, den die Regelungen zur Marktsondierung bieten, ist keine Option. Außerhalb des geregelten Rahmens für die Marktsondierung droht die Einstufung der Informationsweitergabe an die potentiellen Investoren als verbotene Offenlegung von Insiderinformationen, was mit Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren oder hohen Geldstrafen belegt wird. Hinzu kommt eine zwingende Veröffentlichung der Verstöße auf der Website der BaFin für eine Dauer von 5 Jahren (sog. Naming and Shaming).
Ein weiteres Störfeuer mag in einer unter der MAR-Regulierung durchgeführten M&A-Transaktion von unterlegenen Interessenten kommen. Diese könnten sich – berechtigt oder unberechtigt – auf die Nichteinhaltung der Marktsondierungsregeln, die eine Informationsgleichheit erfordern, berufen und den Prozess dadurch sabotieren. Bei klassischen Kapitalmarktplatzierungen mit vorheriger Marktsondierung ist dies kaum zu erwarten, da die an einer Marktsondierung teilnehmenden Kapitalmarktinvestoren mit gutem und transaktionssicherndem Feedback in der Regel alle mit einer überproportionalen Zuteilung rechnen können.
Anders als bei Kapitalmarktplatzierungen funktioniert die Anwendung eines Soft Announcements auf M&A-Verkaufsprozesse für ein börsennotiertes Unternehmen i.d.R. nicht, da zum einen eine unerwünschte Kursreaktion droht, die aufgrund des später verpflichtenden Übernahmeangebots den Kauf für den potentiellen Erwerber unattraktiv macht, und damit den Prozess konterkariert. Zum anderen entfaltet die Bekanntmachung der Veräußerungsabsicht des Hauptaktionärs (und ggf. Gremienvorsitzenden) im Unternehmen eine andere Wirkung als eine angekündigte Kapitalerhöhung.
Im Ergebnis muss man festhalten, dass der rechtskonforme Verkauf einer strategischen Position an einer börsennotierten Gesellschaft an einen anderen Erwerber als den breiten Kapitalmarkt durch die Marktsondierungsregeln der MAR deutlich erschwert wird. Die Komplexität schränkt die Bereitschaft von Erwerbern ein, sich einem solchen Verfahren zu unterwerfen. Hinzu kommt, dass es für die Auslegung der Regeln durch Aufsichtsbehörden und Gerichte in atypischen Marktsondierungen, wie z. B. M&A-Prozessen, bisher noch keine gefestigte Linie gibt.
In jedem Fall sind für die Begleitung dieser Verfahren nur Berater geeignet, die Erfahrungen mit und die technischen Voraussetzungen für die Durchführung von Marktsondierungen haben. Das bedeutet zum einen, dass auf anwaltlicher Seite nur Kanzleien mit transaktionserfahrenen Kapitalmarktrechtlern in Betracht kommen. Denn nichts ist hinderlicher im Prozess als ein Anwalt, der sich in ein neues Themenfeld erst einarbeiten muss, Vorschriften sicherheitshalber in Maximalversion auslegt und nicht auf eine eingespielte und bewährte Marktpraxis zurückgreifen kann. Als Transaktionsberater kommen auf der anderen Seite im Grunde nur Banken mit umfangreicher Kapitalmarkterfahrung in Frage, da nur diese über etablierte Prozesse und Standarddokumentationen für Marktsondierungen, speziell geschulte Mitarbeiter sowie die erforderliche technische Ausstattung verfügen.
Till Wrede
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