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DownloadUnternehmen aus dem Silicon Valley haben gezeigt, dass der Traum vom exponentiellen Wachstum von Umsatz und Gewinn in der digitalen Welt funktionieren kann. Schnelles Wachstum und Größe sind in der Wirtschaftswelt zwar nichts Neues. Aber die exponentielle Entwicklung von Silicon Valley-Größen wie Google, Facebook, Apple oder Twitter hat eine neue Qualität. Noch nie hat die Skalierbarkeit innerhalb von Geschäftsmodellen so schnell so große Unternehmen geformt wie in der digitalen Welt. Natürlich bietet das Internet die Basis für solche Entwicklungen. Sie erklärt aber nicht, warum die Mehrzahl der international erfolgreichen Unternehmen mit digitalem Geschäftsmodell aus dem Silicon Valley kommen. Was also machen die Silicon Valley-Firmen anders als durchschnittliche Start-ups im Rest der Welt? Und lassen sich ihre auf Effizienz und Tempo ausgerichteten Arbeitsmethoden erfolgreich übernehmen?
Exponentielles Wachstum
Erfolg wird in der Start-up-Szene im Silicon Valley und mittlerweile weltweit daran festgemacht, dass möglichst früh exponentielles Wachstum gezeigt werden kann. Dabei ist es für die Gründer zunächst zweitrangig, ob sie bereits Umsatz- und Gewinnzahlen oder nur Nutzerzahlen, Leads oder Klicks in einem stark ansteigenden Graphen dokumentieren können. Die Annahmen beruhen darauf, dass es mit sog. disruptiven Geschäftsmodellen in der digitalen Welt gelingt, hohe Wachstumsraten mit geringen Grenzkosten zu erzielen. Disruptiv müssen die neuen Geschäftsmodelle sein, weil sie eine bestehende Nachfrage auf ihr Angebot umlenken bzw. eine neue Nachfrage erzeugen können müssen. Das digitale Umfeld erlaubt ein solches Wachstum bei niedrigen Kosten, weil die Akquisition neuer Kunden deutlich günstiger ist als in der „analogen“ Welt.
Methoden aus der Wissenschaft
Um auf eine solche Wachstumsader zu stoßen und sie zu erhalten, ist es für die Gründer wichtig, auf dem neuesten Stand der Ideen und Technik zu sein. Start-ups aus dem Silicon Valley haben sich schon früh an die Methoden der Wissenschaft angenähert. Hierzu gehören vor allem die starke Zusammenarbeit in Teams, der offene Austausch von Ideen, das bewusste Lernen aus Fehlern und das Infragestellen bestehender Weisheiten („validated learning“). Diese von Start-ups angewandten Methoden tragen dem Umstand Rechnung, dass für den wichtigen Prozess der Ansprache von Venture-Capital-Investoren in kurzer Zeit und mit meist geringen finanziellen Mitteln erste Erfolge dokumentiert werden müssen.
Business Model Canvas
Viele Start-ups beginnen den Gründungsprozess nicht mehr mit der Erstellung langer Businesspläne, die in der Abgeschiedenheit und wochenlanger Arbeit entstehen. Früh wird auf Basis des sog. Business Model Canvas („Geschäftsmodell auf der Leinwand“) eine offene Diskussion der wesentlichen Parameter des Geschäftsmodells geführt. Im Rahmen des Business Model Canvas-Konzepts wird die Geschäftsidee auf einer einzigen Seite stichpunktartig präsentiert. Die Stichpunkte sind in unterschiedliche Themenfelder unterteilt und beinhalten Informationen zu allen wesentlichen Faktoren des Geschäftsmodells, wie Produkt, Kunden, Monetarisierung, Partner etc. Das Geschäftsmodell bleibt damit in den Anfängen flexibel und formbar, im Gegensatz zu fertigen Businessplänen, die von den Gründern nicht selten gegen jede Kritik und Anmerkungen vehement verteidigt werden und keine Anpassung mehr zulassen.
Bootstrapping
In der Start-up-Szene bezeichnet der Ausdruck Bootstrapping (zu Deutsch: sich an den eigenen Schnürsenkeln nach vorne ziehen), dass die Unternehmensgründung mit geringsten Ressourcen erfolgt. Das bedeutet u. a. Arbeiten aus dem Café statt vom angemieteten Büro (das Klischee stimmt), Cloud-Lösungen statt eigener Server, virtuelle Unternehmensanteile statt Gehälter oder auch SEO (Search Engine Optimization) und Guerilla-Marketing statt bezahlter Werbung. Eric Ries hat in seinem mittlerweile berühmten Buch „Lean Startup“ all die Techniken beschrieben, wie unternehmerische Erfolge ohne große finanzielle Budgets erzielt werden können.
Minimal Viable Product (MVP)
Eine der Techniken, mit der Start-ups den Entwicklungszyklus abkürzen, ist das Minimal Viable (oder Earliest Viable) Product. Sie folgt der Idee, ein neues Produkt mit minimalem Aufwand zu entwickeln und es mit noch teilweise unfertigen Eigenschaften früh potenziellen Kunden anzubieten. Mit dieser Methode soll in kurzer Zeit die potenzielle Nachfrage eingeschätzt werden. Anders als in der Marktforschung wird nicht die Frage gestellt: „Würden Sie dieses Produkt kaufen?“, sondern es werden konkrete Kaufvorgänge (oder Versuche zu kaufen) gezählt. Bei Testkunden, die – im Gegensatz zur meist besser gemachten Produktbeschreibung – oft nicht mit der Qualität der
Produkte zufrieden sind, wird eine gewisse Unzufriedenheit in Kauf genommen. Diese Konfrontation wird jedoch durch den Erkenntnisgewinn eines realen Feldtests mehr als ausgeglichen. Stellen wir uns dagegen ein Unternehmen vor, welches ein Produkt bis zur tatsächlichen Marktreife entwickelt, viel Geld und Zeit investiert und dann feststellt, dass es möglicherweise Interessenten, aber keine wirklichen Käufer für das Produkt gibt, oder dass sich ein Wettbewerber den Markt – vielleicht mit einem schlechteren Produkt – früher gesichert hat. Diese mit MVP vermeidbaren Irrtümer haben die Finanzierung von Start-ups früher sehr teuer gemacht.
Angebracht ist diese Methode natürlich nicht überall. In vielen Bereichen würde uns ein solches Vorgehen erschaudern lassen. So sind Medizintechnik oder Kernkraft keine geeigneten Testfelder für ein Minimal Viable Product. Dennoch haben sich in Deutschland bereits Anbieter etabliert, die Markttests solcher Art für etablierte Unternehmen durchführen. Fällt ein neues Produkt ganz durch, kann die Produkt(weiter)entwicklung schnell, ohne viel Aufsehen und ohne zu große finanzielle Verluste beendet werden. Auch dies ist ein Ausdruck des schnellen offenen Lernens aus Fehlern.
Design Thinking
Eine weitere Methode der Lösung von unternehmerischen Aufgaben ist das sog. Design Thinking, welches u. a. an der Stanford University und am Hasso-Plattner-Institut gelehrt wird. „Design“ ist hier nicht im rein formgebenden Sinne, sondern eher als ein interdisziplinärer Weg zur Lösung von Aufgaben zu verstehen. Start-ups lassen Mitarbeiter aus unterschiedlichen Disziplinen in einem die Kreativität fördernden Umfeld zusammenarbeiten, um gemeinsam für eine Fragestellung innovative Ideen zu entwickeln. Wesentlich an der Methode ist, dass technischen Themen dabei im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung dieselbe Wertigkeit eingeräumt wird wie den Nutzerbedürfnissen. Der iterative Prozess beruht auf der Auswahl der jeweils geeigneten Strategiemethoden, die am besten zum Problem passen, wie z. B.: Beobachten, Verstehen, unterschiedliche Perspektiven einnehmen, Ideenfindung, Prototyping sowie Verfeinerung. Dabei werden Ideen und Ansichten der Mitarbeiter stetig rekapituliert.
Früher gab es Ausnahmeerscheinungen bei Erfindern, die technisch brillant genau das entwarfen, was die Kunden später auch nutzten. Viele Erfinder lagen jedoch entweder bei der Technik oder bei den Kundenwünschen daneben. Dieses Dilemma lässt sich durch Design Thinking vermeiden.
Pivoting
Die Produktentwicklung muss bei einem „Scheitern“ allerdings nicht zwangsläufig sofort beendet werden. Sobald Start-ups realisieren, dass sich der bisherige Produktentwurf nicht erfolgreich auf dem Markt durchsetzen wird, reagieren die Jungunternehmer sofort und schlagen einen neuen Weg ein (to pivot = umschwenken). Das Konzept wird überdacht und entschieden, welche grundlegenden Änderungen am Geschäftsmodell vorgenommen werden müssen, um das Produkt auf die Erfolgsspur zu bringen. Unter das Pivoting fallen jegliche fundamentalen Änderungen am Businessplan, angefangen bei einer neuen Preissetzung, der Festlegung geeigneterer Zielkunden (z. B. b2b statt b2c), über die Nutzung von neuen Vertriebswegen und Marketingstrategien bis hin zu Änderungen am Produkt selbst. Investoren gehen meist davon aus, dass ein junges Start-up im Bereich des Geschäftsmodells auch mal umschwenken muss. Dann zeigt sich, ob auf das richtige Team gesetzt wurde, welches diese Prozesse erfolgreich durchsteht.
Sprints
Das Tempo für diese Entwicklungsschritte entsteht durch sog. Sprints. Dies ist ein Begriff für den Weg, wie Teamziele schnell erreicht werden können. Dabei wird ein (Produkt-)Projekt in unterschiedliche Ergebnisschritte unterteilt. Das verantwortliche Team arbeitet so lange (oft Tag und Nacht) an dem Etappenziel, bis es erreicht ist. Dem folgen – zumindest in Kalifornien – Tage der gemeinsamen Erholung mit den Familien am Strand oder in einer anderen angenehmen Umgebung. Dann werden in einer Zwischenphase Nach- und Vorarbeiten geleistet, bis es wieder zu einem mehrere Tage andauerndem „Sprint“ bis zum nächsten Etappenziel kommt. Sicherlich ist dies eine hohe Beanspruchung, die nicht in jedes (arbeitsrechtliche) Umfeld passt. Allerdings kommen die Unternehmen auf diese Weise unzweifelhaft schnell voran.
Fazit
Die dargestellten und vor allem (auch) im Silicon Valley eingesetzten Methoden sind zum Teil aus der Ressourcenarmut geboren und fassen vielfach nur in Begriffe, was viele Gründer tun (müssen), um ohne viel Geld ihre Unternehmungen starten zu können. Diese Prozesse liefen bisher eher implizit ab. Ihre Beschreibung und damit ihre Entmystifizierung ermöglichen es jungen Unternehmen, jenseits einer reinen Trial-and-Error-Strategie direkt auf diese Methoden zu setzen und sich damit unternehmerische Umwege und Sackgassen zu ersparen.
Einige Methoden, wie Minimal Viable Product, Bootstrapping oder Sprints, passen tendenziell eher in das Umfeld der Start-up-Industrie. Denn es erscheint schwierig, den enormen Einsatz der Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum aufrechtzuhalten. Zudem ist etwa die Bereitschaft, Sprints zu absolvieren, deutlich von der Motivation, der Arbeitskultur sowie der Alterszusammensetzung und dem Ausbildungshintergrund der Mitarbeiterschaft abhängig. Unabhängig von diesem Hintergrund haben aber z. B. Sprints schon Eingang in die typischen Methoden der Softwareentwicklung gefunden.
Andere Methoden, wie z. B. das Design Think-ing oder das Business Model Canvas-Konzept, können zudem auch für Entwicklungsprozesse in etablierten Unternehmen interessant sein.
Selbstverständlich sind die Techniken nur ein Aspekt des Erfolges. Sie müssen zusammentreffen mit einer weltweit führenden Forschung und Lehre, einem hohen Unternehmergeist der Absolventenelite, einer Kultur, die ein Scheitern nicht stigmatisiert, einer Venture-Szene, der man Großes zutraut und Investoren, die bereit sind, Ausfälle ihrer Investments zugunsten des einen Megaerfolges zu akzeptieren. Das Wichtigste bleibt jedoch die gute Idee, und diese ist regelmäßig keine Kopie bestehender Silicon Valley-Geschäftsmodelle. Denn eines lehren uns die Unternehmen mit exponentiellem Wachstum auch: Es gibt nur einen Gewinner.
Dr. Nicholas Ziegert, Corporate Finance
März 2015
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