M.M.Warburg & CO
Corporate FinanceOffen gesprochen
Newsletter zum Download
DownloadBei ihrem Rundgang über die internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main hat sich Angela Merkel am 13. September 2019 für eine Art „Wir schaffen das“ für den Automobil-Sektor ausgesprochen, wenngleich die Kanzlerin auch in ihrer Eröffnungsrede von einer „Herkulesaufgabe“ sprach, die gemeinsam bewältigt werden müsse. Dass die Automobilbranche vor einem disruptiven Wandel steht, bezweifelt kaum jemand mehr. Themen wie Mobilitätskonzepte, autonomes Fahren, Digitalisierung und Elektrifizierung sind in aller Munde. Die deutschen Branchenriesen wie z.B. BMW und Volkswagen haben sich ambitionierte Ziele gesetzt. So hat Volkswagen in seiner „TOGETHER – Strategie 2025“ verkündet, sich auf die Kompetenzfelder autonomes Fahren, Batterietechnologie (Elektromobilität) und künstliche Intelligenz zu konzentrieren. BMW plant, bis 2023 insgesamt 25 Modelle mit Elektro- oder Hybrid-Antrieb auf den Markt zu bringen. Dagegen möchte in Japan insbesondere Toyota mit Hilfe von gigantischen Subventionen Wasserstoff-Autos (Brennstoffzellen-Technologie) für die Masse produzieren. Die Strategien könnten kaum unterschiedlicher sein. Die positive Aufbruchstimmung, die auch auf der IAA von den Herstellern verbreitet wurde, ist allerdings nicht ungetrübt. Denn auf der anderen Seite werden die Nachrichten geprägt von einem signifikanten Stellenabbau bei Autozulieferern wie Schaeffler und Brose. Auch Bosch, Leoni, Conti, Aumann und zahlreiche mittelständischen Zuliefererbetriebe leiden stark unter dem Umbruch in der Branche. Der Anlagenbauer Eisenmann und Weber Automotive (Portfolio Unternehmen eines Finanzinvestors) mussten gar Insolvenz anmelden. Dazu kommen externe Effekte wie die US-Handelspolitik, der anstehende Brexit und die absehbare schwächere Konjunktur, die den Transformationsprozess hin zur Elektromobilität / batteriebetriebene Elektromobilität (FEV / BEV)1) bzw. alternativen Antriebsträngen wie zum Beispiel Full-Hybrid (HEV)2), Plug-in-Hybrid (PHEV)3) oder wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen (FCEV)4) weiter erschwert. Doch was steckt genau hinter dem disruptiven Wandel in der Branche? Gibt es neben den Herausforderungen auch Chancen für die Marktteilnehmer?
Die Automobilindustrie befindet sich in einem Wandel, der durch neue Mobilitätskonzepte, autonomes Fahren, Digitalisierung und Elektrifizierung stark vorangetrieben wird. Das Tempo des Transformationsprozesses nimmt deutlich zu und der ökonomische Druck für die Zulieferer steigt rasant an. Die Auswirkungen, insbesondere für die Automobilzulieferer, werden immer spürbarer. Kurzarbeit, Stellenabbau und erste Insolvenzen prägen die Branche. Wesentlicher Grund dafür ist, dass die meisten Marktteilnehmer trotz gesellschaftlichen und politischen Debatten über Klimaziele, Einhaltung von CO2-Grenzwerten, Elektrifizierung und Transformation vom Verbrennungsmotor hin zu neuen Antriebstechniken bisher kaum oder zu langsam reagiert und sich in den wirtschaftlichen Boom-Jahren zwischen 2010 und 2018 ausgeruht haben. Seit Mitte 2018 ist allerdings erkennbar, das die Rekordjahre vorüber sind. Das Umsatzwachstum, die globale Pkw-Produktion sowie die Profitabilität nimmt im Branchendurchschnitt weltweit ab. Verstärkt wird der Abwärtstrend durch die konjunkturelle Schwäche in China.
Die Zuliefererbranche, die oft stark vom Verbrennungsmotor abhängt, steckt in einem Dilemma. Einerseits herrscht ein großer Druck auf die Umsätze und Profitabilität der Unternehmen. Einhergehend werden bereits seit geraumer Zeit mit Hilfe zahlreicher Strategieberatungen Kostensenkungsprogramme aufgelegt und Personalstellen abgebaut. Andererseits müssen große, risikobehaftete Investitionen getätigt werden, die oftmals einer unsicheren Wette gleichen, um den Transformationsprozess im Unternehmen zu neuen Zukunftstechnologien zu ermöglichen.
Sowohl OEMs als auch große und kleine Zulieferer müssen sich auf neue Technologien einstellen, die heute teilweise noch gar nicht bekannt sind. Ähnlichen Herausforderungen stand vor einiger Zeit die Musikindustrie gegenüber. Analoge Tonträger und CDs wurden durch den digitalen Musikvertrieb substituiert.
Wird vom Transformationsprozess in der Automobilbranche gesprochen, denken die meisten sofort an die Elektromobilität. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass sich die Branchenexperten trotz klarem Bekenntnis von Volkswagens Vorstandsvorsitzenden Hebert Diess zum batteriegetriebenen Elektrofahrzeug überwiegend einig sind, dass im Moment völlig offen ist, welche Technologie sich in 15 Jahren durchsetzen wird. Prognosen zeigen allerdings, dass herkömmliche Antriebstechniken (Gasoline Direct Injection, Port Fuel Injection) durch Hybrid und Elektrofahrzeuge teilweise verdrängt werden. Allerdings wird die vollständige Verdrängung mehr Zeit in Anspruch nehmen als angenommen und bisher prognostiziert. Mit Sicherheit kann aber heute schon festgehalten werden, dass nach dem Transformationsprozess die Industrie globaler, umweltfreundlicher und digitaler aufgestellt sein wird bzw. werden muss.
Grafik: Absatz nach Antriebstyp [Mio. Stk] (Quelle: Continental)
Folgende Markttrends als Treiber des Umbruchs werden die Zukunft und das Ökosystem der Automobilbranche verändern und bestimmen:
Diese Markttrends verändern die Branche und führen teilweise zu disruptiven Veränderungen innerhalb der Branche sowie bei den Marktteilnehmern. Hierzu zählen:
Werden die Markttrends und die daraus resultierenden Auswirkungen innerhalb des Automobilsektors betrachtet, können wesentliche Implikationen und Handlungsempfehlungen, insbesondere für die mittelständischen Zuliefererbetriebe, abgeleitet werden:
Festzuhalten ist, dass die aktuellen Markttrends und Tendenzen sich verschärfen werden. Allerdings werden die automobilen Megatrends (Autonomes Fahren, Digitalisierung/Vernetzung, Mobilitätskonzepte, Elektrifizierung) erst zwischen 2025 und 2030+ vollständig auf die Branche durchschlagen.
Positiv ist, dass es noch nicht zu spät ist, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Allerdings sollten jetzt die Geschäftsmodelle und Strategien zukunftsfähig gemacht werden. Bestehende Branchentrends werden sich beschleunigen und verschärfen. Der Investitionsdruck der OEMs und Tier-1-Zulieferer wird sich auf die Beschaffungspreise niederschlagen. Weitere Insolvenzen bei Zulieferern, die ausschließlich das Produktportfolio auf den Verbrennungsmotor ausgerichtet haben, werden folgen.
Sowohl OEMs als auch große und kleine Zulieferer sollten versuchen, sinnvolle Joint Ventures und Fusionen einzugehen, um die Transformation vom Verbrennungsmotor hin zu neuen Antriebstechnologien zu meistern.
Investitionen in junge Wachstumsunternehmen mit vielversprechenden Geschäftsmodellen sind unabdingbar. Partnerschaften sollten eingegangen werden, um das Risikoprofil solcher Investitionen zu senken. Um die bevorstehenden Investitionssummen bewältigen zu können, muss die Unternehmensfinanzierung für ausreichende Spielräume aufgestellt werden.
Ein Teilverkauf bzw. Teilbörsengang kann unter Umständen in Betracht gezogen werden und eine sinnvolle Lösung für weiteres Wachstum darstellen. Allerdings wird die Suche nach strategischen Partnerschaften oder der Unternehmensverkauf aufgrund der Ungewissheit über die zukünftige Entwicklung immer schwieriger. So hat z.B. Continental im Frühjahr den Teilbörsengang der Antriebssparte aufgrund des schwierigen Marktumfeldes auf nächstes Jahr verschoben und prüft zeitgleich auch Alternativen. Selbst das große Interesse chinesischer Investoren für die Zuliefererbranche nimmt deutlich ab und gehört der Vergangenheit an. Besonders stark sanken die Aktivitäten chinesischer Investoren in Deutschland: Verglichen zum Vorjahreszeitraum sank die Zahl der Zukäufe und Beteiligungen von 25 auf nur noch 11.
Trotz der aktuellen herausfordernden Marktgegebenheiten für die betroffenen Unternehmen ist Abwarten zweifelsohne die schlechteste Variante. Es muss jetzt gehandelt werden und das Hinzuziehen eines professionellen Corporate-Finance-Beraters ist ratsam.
Das zukünftige Umfeld der Automobilindustrie wird bereits heute neu definiert. Mittelfristig wird die Elektromobilität die größten Auswirkungen auf die Branche haben und besonders bei mittelständischen Zulieferern, die bei neuen Technologien aktuell oft eher schwach aufgestellt sind, zu Herausforderungen führen. Die Kernkompetenz der Zulieferer wird sich massiv in Richtung Software und Elektronik verschieben. Der Technologietransfer bietet aber insbesondere auch für die Zuliefererindustrie große Möglichkeiten, ihren Marktanteil an der gesamten Wertschöpfungskette des Automobils in Zukunft zu erhöhen, da sich OEMs Richtung Mobilitätsanbieter und Mobilitätsdienstleistern entwickeln und Produktionskapazitäten an die Zuliefererindustrie abgeben werden. Insoweit heißt es jetzt zu handeln, denn nur die stärksten und innovativsten Marktteilnehmer werden langfristig den Herausforderungen des Transformationsprozesses standhalten können.
Ulrich Strobel
Corporate Finance
1) Full EVs / Battery Electrical Vehicle; 2) Hybrid EVs; 3) Plug-in EVs; 4) Fuel Cell EVs
Weitere Informationen
Kontakt
Dr. Roman Rocke
Leiter Corporate Finance
M.M.Warburg & CO
Tel. +49 40 3282-2155