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DownloadDiese Frage wurde im Rahmen einer hochrangig besetzten Diskussionsrunde auf dem 17. Deutschen Eigenkapitaltag des Bundesverbandes Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) Anfang Juni erörtert. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass der Netzausbau vorangetrieben, die digitale Ausbildung schon in der Schule verbessert, ein VC-Gesetz verabschiedet und der rechtliche Rahmen für die Vermeidung von Monopolen geschaffen werden müssen. Aber sind das tatsächlich die zentralen Herausforderungen der Industrie 4.0?
Industrie 4.0 oder auch das Internet der Dinge steht für die Kommunikation von Maschinen mit Maschinen. Noch heute ist eine solche Kommunikation auch in den Fertigungen der Großunternehmen kaum umgesetzt. Jeder Maschinenbauer nutzt regelmäßig seine eigene Steuerungssoftware, die sehr aufwändig von Spezialisten programmiert werden muss. Das gilt insbesondere auch für Roboter. Die wenigen weltweit tätigen Roboterhersteller haben wenig Interesse an einer einheitlichen Softwareplattform, welche eine der wichtigen Voraussetzungen für die schnelle und effiziente Programmierung von einer Maschinen-Maschinen-Kommunikation darstellt.
Es ist erstaunlich, wie wenig sich die Programmierung von Maschinen- und Roboter-Steuerungen in den letzten Jahren verändert hat. Vergleicht man diese mit der Kommunikationstechnik, so wähnt man sich vom aktuellen Apple-IOS- direkt in das DOS-Zeitalter zurückversetzt. Entsprechend gering waren auch die Wachstumsraten von Robotern bis 2013.
Mit der Industrie 4.0 soll sich das nachhaltig ändern. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren Standardprogrammiersprachen die individuellen Hersteller-Steuerungen ersetzen. Die Programmierung wird sich dadurch extrem vereinfachen und anstatt durch Spezialisten immer mehr durch Anwender erfolgen. In welcher Geschwindigkeit dann die vollständige Digitalisierung erfolgen kann, haben wir im e-Commerce in den letzten Jahren feststellen können.
Es ist sicher kein Zufall, dass uns in den letzten Monaten verschiedene Geschäftsmodelle zu den Themen Robotik, Regelungssoftware sowie fahrerlose Land- und Luftfahrzeuge präsentiert wurden. Mit der öffentlichen Vorstellung eines vollständig drehmoment-gesteuerten Roboters mit Tastsensibilität und einfachster intuitiver Programmierung für unter EUR 10.000 auf der Hannover-Messe wird deutlich, welcher gewaltige Innovationsschritt in der Industrie vor uns liegt.
Die Nutzung von Robotern wird in den nächsten Jahren exponentiell zunehmen. Neben der Automobilindustrie werden auch alle anderen Produktionsunternehmen prüfen, ob Arbeitsplätze durch Roboter automatisiert werden können. Studien gehen davon aus, dass beispielsweise mindestens 20% der derzeitigen Arbeitsplätze in der Automobilindustrie durch Roboter ersetzt werden könnten. Durch eine einfache intuitive Programmierung werden aber in kurzer Zeit immer weitere Anwendungsmöglichkeiten für die Roboter entwickelt werden. Bei einer Investitionssumme von nur EUR 25.000 bis zur Einsatzreife eines Roboters in der Produktionsumgebung werden sich auch mittelständische Unternehmen die Frage stellen, ob sie einen Menschen einstellen oder einen Roboter kaufen. Dabei wird über cloud-basierte Softwaresysteme die weltweite Anpassung von Produktionsprozessen fast auf Knopfdruck erfolgen können. Dass Roboter sich in naher Zukunft selbst bauen, dass Wartungsanforderungen von Maschinen vollständig automatisch abgewickelt, notwendige Ersatzteile aus Lägern entnommen oder durch 3d-Printer hergestellt und diese dann vollautomatisch von Robotern eingebaut werden, wird in den nächsten 10 Jahren sicher Realität sein.
Diese Entwicklung wurde auch von der chinesischen Regierung erkannt. Um ihren Status als wichtigster Fertigungsstandort der Welt aufrechterhalten zu können, muss China die Automatisierung seiner Produktionsbetriebe vorantreiben. Die geplante Übernahme von Kuka durch den chinesischen Konzern Midea ist hierfür ein sichtbares Zeichen.
Wozu führt nun dieser Einsatz von Robotern für eine Vielzahl von Produktionsschritten?
Zunächst einmal wird in den Ländern mit einer starken Maschinenbau- und Robotik-Industrie eine starke Nachfrage nach Robotern entstehen. Hiervon kann Deutschland nur profitieren. Unsere Forschungsinstitute und Unternehmen mit starkem Ingenieur-Know-How und weltweit anerkannten Maschinenbaukompetenz erscheinen geradezu prädestiniert dafür, Ideen der Industrie 4.0 umzusetzen. Allerdings müssen wir dafür nicht nur über die Maschinenbau-, sondern auch über die Software-Kompetenz verfügen. Sollte es gelingen, eine cloud-basierte Standardsoftware für die Maschinen- und Robotersteuerung im Markt zu etablieren, so ist dies eine der letzten Chancen für Deutschland, ein international führendes Technologieunternehmen neben SAP aufzubauen.
Damit stellt sich die erste Herausforderung in der Identifikation und Unterstützung von geeigneten Softwareunternehmen sowie die Sicherstellung des Verbleibs der Unternehmen in Deutschland.
Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Bereitstellung der erforderlichen Finanzierung. Im Gegensatz zu den üblichen e-Commerce- und Plattform-Geschäftsmodellen, die derzeit insbesondere in Berlin und München jeden Tag neu entstehen, ergeben sich für die Industrie-4.0-Unternehmen ganz andere Finanzierungsanforderungen. Es geht hier nicht um eine stufenweise Meilenstein-Finanzierung von zunächst wenigen hunderttausend Euro oder einstelligen Millionenbeträgen, sondern typischerweise um Investitionssummen in mindestens zweistelliger Millionenhöhe. Dieses Kapital wird schon sehr früh für Patente, Software und Technologie benötigt. Hier stoßen die VC-Funds ebenso an ihre Grenzen wie klassische Private-Equity-Anbieter, die das Risiko der Frühphase nicht eingehen wollen oder dürfen. Damit bleibt die Möglichkeit einer Finanzierung durch Großunternehmen. Bei diesen sehen wir jedoch Beschränkungen aufgrund einer fehlenden Offenheit für nachhaltige Veränderungen, die auch wichtige Grundpfeiler des eigenen Geschäftsmodells in Frage stellen. So besteht derzeit die Gefahr, dass trotz erheblicher Mittel, die nach Anlagen suchen, die Finanzierung von Industrie-4.0-Geschäftsmodellen in Deutschland scheitert und doch auf Angebote von Apple oder Google zurückgegriffen werden muss.
Es ist davon auszugehen, dass durch die Automatisierung der Lohnvorteil asiatischer Fertigungsbetriebe immer mehr in den Hintergrund tritt und so Fertigungen zurück nach Deutschland oder Osteuropa verlegt werden. Geringere Logistikkosten, kürzere Lieferzeiten und stabilere politische Rahmenbedingungen werden hier die Argumente sein. Auch dies kann zu neuen Arbeitsplätzen führen. Hier gilt es natürlich die politischen Auswirkungen einer solchen globalen Veränderung von Wirtschaftsprozessen zu managen.
Es wird also durch die Industrie 4.0 viele neue Chancen für Unternehmen, aber auch viele Veränderungen bei den Arbeitsplätzen und Arbeitsplatzanforderungen geben. Die Industrie 4.0 wird etwa eine noch größere Flexibilität von den Angestellten erfordern und Sicherheit und Kontinuität von Arbeitsplätzen werden abnehmen. Diese Entwicklung wird dazu führen, dass die Zukunftssorgen einer breiten Bevölkerungsschicht nachhaltig steigen. Besonders hier wird die Politik gefordert sein, die bestehenden Sozialsysteme den neuen Anforderungen anzupassen.
Dieser Aspekt wurde in der oben erwähnten Diskussionsrunde kaum angesprochen. Ein entsprechender Hinweis eines Diskussionsteilnehmers wurde von anderen Teilnehmern mit dem Argument abgetan, dass durch die Veränderung schon genug neue Arbeitsplätze entstehen dürften. Es ist aber keineswegs eine Gesetzmäßigkeit, dass die Erfahrungen der Vergangenheit pauschal als Lösung für die Zukunft herangezogen werden können. Zumindest die Sorgen Jugendlicher, junger Eltern und älterer Angestellter werden zunehmen. Das wird wiederum nicht nur zu einer weiteren Stärkung alternativer politischer Parteien führen, sondern kann auch die Basis für eine weitere Radikalisierung der Bevölkerung sein.
Die Entscheidung über die richtigen politischen Maßnahmen wird nicht leicht. Die Politiker müssen hier teilweise völlig neue Ansätze finden. Ein sicheres Grundeinkommen, wie gerade in der Schweiz abgelehnt, könnte dabei z.B. ein sinnvoller Ansatz sein.
Dr. Jens Kruse
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