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DownloadLaut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes gibt es in Deutschland ca. 3,65 Millionen Unternehmen. Rund 95% davon, also fast 3,5 Millionen Unternehmen, stehen vollständig oder mehrheitlich im Eigentum von Familien und Einzelpersonen und können damit als Familienunternehmen bezeichnet werden. Einige wenige dieser Familiengesellschaften wie zum Beispiel BMW, Drägerwerk, Fresenius, Fuchs Petrolub, Henkel, Jungheinrich oder Sixt sind am Kapitalmarkt gelistet, andere, wie z. B. die Otto Group oder Würth, haben Anleihen emittiert und sich dadurch zumindest auf der Fremdkapitalseite dem Kapitalmarkt geöffnet. Für die meisten Familiengesellschaften spielt der Kapitalmarkt hingegen keine Rolle. Sucht man den Begriff „Familienunternehmen“ im Internet, so dominieren Themen wie Vermögensanlage, Erbschaftssteuer und die Beteiligung von Kindern. Aber ist der Kapitalmarkt für große Familienunternehmen wirklich kein Thema?
Vor kurzem zitierte das Handelsblatt Stefan Dräger, Mehrheitsaktionär und Vorstandsvorsitzender der Drägerwerk AG & Co. KGaA: „Die kritische Begleitung des Kapitalmarktes und der Analysten ist für mich ein wichtiges Korrektiv, genauso wie ein wirklich kompetenter, unabhängiger Aufsichtsrat. Das schützt das Unternehmen vor einer plötzlichen Torheit seines Eigentümers.“
Eine weise Einschätzung des Kapitalmarkts, die man in Deutschland leider nur selten findet. Die regelmäßige Reaktion bei Gesprächen mit Familienunternehmen zum Thema Kapitalmarkt ist der Hinweis auf einen fehlenden Kapitalbedarf, die nicht gewünschte Transparenz und die hohen Risiken durch Mitgesellschafter und eine überbordende Regulierung. Den Kapitalmarkt als einen möglichen „Sparringspartner“ bei der Strategie oder bei wichtigen operativen Entscheidungen zu sehen, ist international anerkannt, in Deutschland aber die Ausnahme.
Nun sprechen eine Vielzahl von Weltmarktführern in Deutschland dafür, dass es auch einen deutschen Weg geben kann, der von den internationalen Usancen abweicht. Schnelle Entscheidungswege, langfristiges Denken, starke Unternehmenskulturen und die Unabhängigkeit des Unternehmers waren bei den häufig in der Nachkriegszeit gegründeten Unternehmen wesentliche Erfolgsfaktoren. Diese Unternehmen beschäftigen heute Tausende von Mitarbeitern und erreichen Umsätze im Milliardenbereich.
Geführt werden viele dieser Unternehmen von der zweiten oder dritten Familiengeneration. Bei einigen steht der Übergang auf die dritte, teilweise auch vierte Generation an. Mit den Generationsübergängen nimmt die Zahl der Gesellschafter regelmäßig zu. Aus zwei werden vier, aus vier nicht selten eine zweistellige Anzahl von Gesellschaftern. So muss die Diskussion über die richtige Führung und Ausrichtung der Gesellschaft häufig in einem immer größeren Kreis geführt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht wenige Gesellschafter der Kinder-, Enkel- oder Urenkelgeneration gar keinen direkten Bezug mehr zum individuellen Familienunternehmen haben. Zur Entscheidungsfindung hinzugezogen werden daher meist zusätzliche Berater, Beirats- oder Aufsichtsratsmitglieder und ggf. der familienfremde Vorstand.
Vor diesem Hintergrund stellt sich durchaus die Frage, ob ein solcher Kreis allein immer das beste Gremium ist, um über die Zukunftsausrichtung des Unternehmens zu entscheiden. Denn Kinder, Enkel und Urenkel der Unternehmensgründer, die nun zur Entscheidung über die Geschicke des Unternehmens berufen sind, sind in der Zwickmühle: Sie sind regelmäßig mit einem von ihren Eltern oder Großeltern geprägten, subjektiven Unternehmensbild aufgewachsen. Von ihnen wird die Fortführung des Unternehmens im Sinne der Familie erwartet. Einige von ihnen wurden auf die Übernahme dieser Aufgabe fachlich vorbereitet, aber längst nicht alle verfügen über die Sachkunde und die notwendige Erfahrung, um anstehende Richtungsentscheidungen fachlich versiert treffen zu können. Auch fehlt vielen einfach der Wille, das Familienunternehmen operativ zu führen.
Beim Generationenwechsel im Management finden die neuen Familien-Geschäftsführer und Vorstände außerdem regelmäßig sehr erfahrene Führungskräfte und Berater vor, die noch von der vorherigen Unternehmergeneration – nicht selten vor Jahrzehnten – eingesetzt wurden und damit als strategischer Sparringspartner im Hinblick auf die unternehmerische Weiterentwicklung häufig nur bedingt geeignet erscheinen. Denn die neuen Vorstände stehen aufgrund von Internationalisierungs- und Digitalisierungsanforderungen vor neuen, sehr komplexen strategischen Aufgabenstellungen.
Die Tatsache, dass mit der zunehmenden Zahl der zur gemeinsamen Entscheidung berufenen Familiengesellschafter nicht zwingend die Harmonie steigt und das Konfliktpotenzial bei Entscheidungen häufig nicht unbeachtlich ist, macht die Situation für die neue Gesellschaftergeneration nicht einfacher. Zusätzlich entwickeln gelegentlich auch die Ehepartner der Familiengesellschafter eigene Ideen über die richtige zukünftige Besetzung von Managementpositionen. Die Positionierung des eigenen Nachwuchses im Unternehmen hat dabei oft Priorität vor der fachlich und persönlich sinnvoll-sten Besetzung eines Postens.
Kann in einer derartigen Situation eine ergänzende objektivierende Außensicht durch den Kapitalmarkt – wie eingangs durch Stefan Dräger erwähnt – hilfreich sein? Wir glauben, dass dies für jene Unternehmen, welche die Voraussetzungen für eine attraktive Kapitalmarktentwicklung mitbringen, sehr wohl der Fall ist. Solche Unternehmen werden durch Wertpapieranalysten begleitet, die regelmäßig auch Wettbewerber bewerten und damit Markttrends erkennen und hinterfragen, zu denen sich der Vorstand erklären muss. Auch Investoren und die Wirtschaftspresse müssen davon überzeugt werden, dass durch die Unternehmensstrategie der Wert des Unternehmens gesteigert wird. Dabei schätzen Kapitalmarktinvestoren grundsätzlich die langfristige strategische Ausrichtung von Familienunternehmen. Es ist Aufgabe des Vorstands, durch eine klare Kommunikation des Wertesystems des Familienunternehmens geeignete Investoren zu gewinnen. Hauptversammlungen können durch außenstehende Investoren anstrengend werden, die aufkommenden Fragen der Aktionäre und die Diskussionen mit ihnen schärfen aber auch den Blick von Management und Aufsichtsrat auf Markt- und Unternehmensentwicklungen.
Weitere Vorteile des Gangs an den Kapitalmarkt sind die Möglichkeit einer schnellen Aufnahme von Eigenkapital über Kapitalerhöhungen, die Schaffung von Aktien als Akquisitionswährung, die vereinfachte Aufnahme von Fremdkapital über Anleihen oder andere Kapitalmarktprodukte, die Verbesserung der Finanzierungskonditionen, die flexible Gestaltung von Mitarbeiterbeteiligungen und die erhöhte Wahrnehmung der Gesellschaft im internationalen Wettbewerb und auch bei qualifizierten Mitarbeitern.
Nicht zu vergessen ist zudem, dass der Kapitalmarkt auch für die einzelnen Familiengesellschafter Vorteile mit sich bringt. Denn nicht jedes Familienmitglied ist Willens und in der Lage, unternehmerische Entscheidungen zu treffen oder kritisch zu begleiten. Die Struktur eines börsennotierten Unternehmens kann den Erwartungsdruck auf den oder die Nachfolger mindern, das Unternehmen auf Gedeih und Verderb allein fortführen zu müssen: Es setzt voraus, dass Managementpositionen professionell besetzt werden, wobei im Regelfall mehrere Personen als Vorstände Verantwortung für das Unternehmen übernehmen. Damit sind – je nach Bedarf – Konstellationen denkbar, in denen allein Familiengesellschafter das Unternehmen führen, solche, in denen die Familie gemeinsam mit familienfremden Managern agiert, aber auch ein rein familienfremdes Management. Auch die Tatsache, dass nur eine limitierte Zahl von Aufsichtsratspositionen zur Verfügung steht und an diese – etwa im Hinblick auf den Finanzexperten – bestimmte Anforderungen gestellt werden, kann den Druck auf das einzelne Familienmitglied nehmen, dem Unternehmen unabhängig von der eigenen Veranlagung dienen zu müssen, um dieses zu erhalten.
Sollte zur Umsetzung neuer Strategien die Einwerbung zusätzlicher Mittel notwendig werden, stehen dem börsennotierten Unternehmen jenseits von Gesellschafterdarlehen oder durch die Familie zu erbringenden Kapitaleinschüssen die bereits genannten Möglichkeiten zur Verfügung, was die Familiengesellschafter ebenfalls entlasten kann. Darüber hinaus ist es für die Nachfolgergeneration nicht mehr zwingend erforderlich, dass sämtliches Vermögen dauerhaft zu großen Teilen im Unternehmen gebunden ist. Der Kurswert der Aktien gibt der Familie zum einen eine realistische Werteinschätzung. Zum anderen kann ein positiver Kursverlauf zur Beruhigung des einzelnen Familienmitglieds beitragen bzw. ihm eine flexible Möglichkeit zur eigenen Vermögensallokation geben, ohne das Unternehmen zu gefährden. Der über den Börsenhandel ermittelte und im Kurs reflektierte objektive Wert des Unternehmens macht auch Übertragungen von Anteilen innerhalb der Familie einfacher. Wertgutachten und schwierige Verkäufe innerhalb der Familie werden weitgehend überflüssig.
Natürlich ist eine Börsennotiz kein Allheilmittel. Sie ist zudem nur für die größeren, kapitalmarktfähigen Unternehmen geeignet, die eine gewisse Umsatzgröße mitbringen, profitabel sind und Wachstumspotenzial aufweisen. Unternehmen mit einem Eigenkapitalwert von weniger als EUR 100 bis EUR 200 Mio. benötigen besonders gute Wachstumsperspektiven, also eine gute „Equity Story“, um für Investoren interessant zu sein. Alle weiteren Anforderungen an die Unternehmensführung, die Rechtsform, die Unternehmensdokumentation sowie das Rechnungs- und Berichtswesen können durch eine gute Vorbereitung des Börsengangs geschaffen werden.
Viele Familiengesellschafter scheuen den Gang an den Kapitalmarkt aus Angst vor einem Kontrollverlust. Dieser ist mit dem Börsengang aber nicht zwingend verbunden. So lässt sich durch die Beschränkung der für familienfremde Investoren zur Verfügung stehenden Aktien auf weniger als 50 % des Grundkapitals die faktische Kontrolle sicherstellen. Selbst eine Beteiligung der Familie von mehr als 30 % wird vom Gesetzgeber und aus Sicht des Kapitalmarktes aufgrund der üblichen Hauptversammlungspräsenzen als ausreichende Kontrollmehrheit angesehen. Soweit der Einfluss der außenstehenden Aktionäre noch weiter eingeschränkt werden soll, können auch stimmrechtslose Vorzugsaktien emittiert werden. Auf diesem Weg können bis zu 50 % des Grundkapitals an dem Familienunternehmen abgegeben werden, ohne dass außenstehende Investoren Stimmrechte bei nicht satzungsändernden Entscheidungen erhalten. Sollte auch dies perspektivisch als nicht ausreichende Sicherung angesehen werden, kann die Rechtsform der KGaA gewählt werden. Bei dieser, mittlerweile auch bei internationalen Investoren anerkannten Rechtsform, übernimmt die Komplementär-GmbH, -AG oder -SE die Geschäftsführung. Die Anteile an der Komplementärin können dann vollständig im Eigentum der Familie bleiben. Ebenso ist vorstellbar, dass nur einzelne Geschäftsbereiche der Familiengesellschaft an den Kapitalmarkt gebracht werden und somit die Familiengesellschaft den gelisteten Geschäftsbereich des Unternehmens weiterhin kontrolliert.
Natürlich erhöht eine Kapitalmarktnotierung die Komplexität und die Vorzüge des Kapitalmarkts müssen mit Nachteilen erkauft werden. Hierzu zählen neben der Öffentlichkeit des Prozesses die Kosten des Börsengangs, erhöhte laufende Kosten der zukünftigen Unternehmensführung, hohe Transparenzanforderungen der Investoren und eine umfassende Regulierung durch den Gesetzgeber und die Börsen. Insbesondere das Reporting und das Frühwarnsystem des privat geführten Unternehmens muss regelmäßig vor einem Börsengang verbessert werden. Dabei sind die neuen Anfor-derungen sicherlich teilweise bürokratisch und ärgerlich, überwiegend für die Steuerung eines wachsenden Unternehmens aber auch von einem erheblichen Wert.
Trotz der klaren Vorzüge des Kapitalmarkts haben in den letzten Jahren nur wenige deutsche Familienunternehmen den Weg an die Börse gesucht, und die Anzahl der börsennotierten Unternehmen im Ganzen ist aktuell leider sogar rückläufig. Wir halten diese Entwicklung – auch für die Familienunternehmen selbst – für bedauerlich und würden uns freuen, wenn sich dieser Trend in den nächsten Jahren umkehrt und die Begeisterung für den Kapitalmarkt und die Wahrnehmung des Kapitalmarktes als Partner und Chance wieder zunimmt. Wir möchten diese Entwicklung fördern und stehen für weiterführende Gespräche gerne zur Verfügung.
Dr. Jens Kruse, Corporate Finance
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